2.
Nachdem ihr also die Traurigkeit abgelegt habt, wollen wir euch das Frühere in Erinnerung bringen, damit euch die heutige Rede um so deutlicher werde. Wir sagten nämlich in Bezug auf die Erschaffung der Welt, daß Gott sie nicht nur schön und bewunderungswürdig und groß, sondern auch hinfällig und vergänglich gemacht; ferner daß er ihr viele Merkmale dieser beiden Erscheinungen aufgedrückt hat und beide zu unserm Vortheil verwendet, und zwar so, daß er uns durch die Schönheit derselben zur Bewunderung des Schöpfers hinführt, durch ihre Hinfälligkeit aber uns abhält, die Schöpfung als Gott zu verehren. Dasselbe geschah, wie wir sehen, auch an unserm Leibe; denn es fragen in dieser Beziehung sowohl viele Feinde der Wahrheit, als auch Manche aus unsern Reihen, warum der Leib vergänglich und sterblich erschaffen; viele Heiden aber und Ketzer S. 226 behaupten, daß derselbe nicht einmal von Gott gemacht worden sei. Denn sie sagen, daß die Erschaffung desselben Gottes unwürdig sei, indem sie dabei die Unreinigkeiten, die Ausdünstungen, die Thränen, die Arbeiten und Mühseligkeiten und alle andern Unvollkommenheiten des Leibes aufzählen. Weil wir nun einmal darüber zu reden begonnen, so möchte ich vor Allem Dieses bemerken: Komme mir nicht mit dem gefallenen Menschen, der seiner Ehre beraubt dem Urtheil verfiel! Willst du wissen, wie Gott unsern Leib vom Anfang gebildet, so laß uns ins Paradies gehen und die ursprüngliche Erschaffung des Menschen betrachten! Denn jener Leib war nicht so vergänglich und sterblich, sondern frei von jeglicher Hinfälligkeit, wie ein goldenes Standbild glänzend und neu aus dem Glühofen kommt: keine Arbeit ermüdete ihn; kein Schweiß schadete ihm; keine Sorgen stellten ihm nach; kein Kummer umlagerte ihn, noch hatte er andere ähnliche Leiden zu tragen. Nachdem sich aber der Mensch im Glücke nicht zu mäßigen wußte, sondern gegen seinen Wohlthäter empörte und glaubte, daß der listige Satan mehr Glauben verdiene als Gott, sein Gebieter, der ihn so zu Ehren gebracht; nachdem er die Hoffnung genährt, selbst Gott zu werden, und von sich eine höhere Meinung gefaßt, als ihm die eigene Würde erlaubte: da hat ihn Gott durch die That selbst zur Einsicht zu bringen gesucht und ihn hinfällig und sterblich gemacht und mit gar vielen Nöthen umstrickt, nicht aus Abneigung und Haß, sondern aus väterlicher Sorgfalt. Er wollte nämlich den schädlichen und verderblichen Stolz gleich in seinem Keime ersticken und nicht weiter um sich greifen lassen, sondern dem Menschen durch die Erfahrung beweisen, daß er sterblich und hinfällig sei, und so ihn dahin vermögen, daß er sich nie dergleichen Gedanken, ja nicht einmal im Traume hingebe; 1 denn S. 227 der Teufel hatte gesagt: „Ihr werdet sein wie Götter.” 2Um nun diese Behauptung gründlich zu Schanden zu machen, hat Gott den menschlichen Leib vielen Krankheiten und Armseligkeiten unterworfen und dem Menschen durch seine eigne Natur die Lehre gegeben, ja nie einen solchen Gedanken zu fassen. Und daß dem wirklich so sei, das geht ganz klar aus Thatsachen, die ihn selber betreffen, hervor: denn nach dieser Erwartung 3 wurde er mit dieser Strafe belegt. Betrachte mir da die göttliche Weisheit! Gott ließ nicht ihn zuerst sterben, sondern ließ zu, daß Dieses der Sohn desselben erdulde, damit er den gemordeten und verwesenden Leib vor seinen Augen betrachte und aus diesem Anblick eine heilsame Lehre gewinne und lerne, was vorging, um so gründlich gebessert den Ort zu verlassen. Was ich behauptet, erhellt zwar meistens aus der Geschichte selbst, ist aber nicht weniger klar aus dem, was ich noch zu sagen gedenke. Denn da der Leib einer so zwingenden Nothwendigkeit unterliegt; da alle Menschen vor Aller Augen sterben und verderben und verwesen und in Staub aufgelöst werden; da die heidnischen Philosophen auch Dieß als ein entscheidendes Merkel mal am Menschengeschlechte aufstellen (denn auf die Frage: Was ist denn der Mensch? antworteten sie: „Ein vernünftiges, sterbliches Wesen“); da nun Alle Dieses bekennen und es dennoch Einige wagten, sich bei der leichtgläubigen Menge unsterblich zu machen; 4und da sie, obgleich sie sichtbare Beweise ihrer Sterblichkeit gaben, dennoch als Götter verehrt zu werden verlangten und auch solche Verehrung genoßen: wie weit würden es nicht viele Menschen in der Abgötterei getrieben haben, wenn der Tod nicht gekommen wäre und Alle über die Hinfälligkeit und Sterblichkett ihrer Natur belehrt hätte! Höre nur das Wort des Propheten über einen barbarischen König, der in seinem Wahnsinne raste: S. 228 „Über die Sterne des Himmels werde ich meinen Thron setzen . . . und dem Höchsten will ich gleich sein.” 5Er aber verlacht ihn und beweist seine Sterblichkeit mit den Worten: „Moder wird man dir unterbreiten, und deine Decke werben die Würmer.” 6 Er will damit Folgendes sagen: Als Mensch hast du ein solches Ende zu gewärtigen, und doch erfrechtest du dich, solche Gedanken zu hegen! Und wieder von einem Könige, nämlich dem der Tyrier, welcher mit einem ähnlichen Frevel umging und als ein Gott gelten wollte, sagt er: „Du aber bist kein Gott, sondern ein Mensch; und die dich durchbohren, werden das sagen.” 7 Um also die Grundlage der Abgötterei gleich in ihrem Beginne und vollends zu zerstören, hat Gott unsern Leib auf diese Weise gebildet. Und warum wunderst du dich, daß Dieses am Leibe geschah, da, wie bekannt, an der Seele etwas Ähnliches vorging? Denn Gott hat sie zwar nicht sterblich erschaffen, sondern gestattet, daß sie unsterblich sei; wohl aber hat er gemacht, daß sie der Vergeßlichkeit, der Unwissenheit, der Trauer und den Sorgen unterworfen sein soll, und das hat er gethan, damit sie nicht, wenn sie auf ihren ursprünglichen Adel zurückblickt, von sich eine höhere Meinung fasse, als ihrer jetzigen Würde gebührt. Denn wenn sogar unter diesen Verhältnissen Manche sich zu behaupten erfrechten, sie sei ein Theilchen der Gottheit: wie weit würden solche Leute nicht in ihrem Wahnsinne gekommen sein, wenn sie diesen Wandlungen nicht unterläge? Was ich aber in Bezug auf die Welt gesagt habe, das Nämliche sage ich auch in Bezug auf den Leib: ich bewundere Gott gleichmäßig wegen dieser beiderlei Akte, sowohl S. 229 daß er den Leib vergänglich erschuf, als auch darum, daß er in dieser Vergänglichkeit seine eigene Macht und Weisheit bewies. Denn daß er ihn aus einem bessern Stoff zu machen vermocht hätte, das hat er am Himmels- und Sonnenkörper gezeigt. Denn Derjenige, der diese Körper erschaffen, hätte, wenn er gewollt, auch den Leib ebenso herrlich zu bilden vermocht. Allein der Grund seiner Hinfälligkeit ist der Hochmuth, dessen ich oben Erwähnung gethan. Das jedoch vermindert die Bewunderung vor dem Schöpfer nicht, sondern erhöhet sie noch. Denn die Geringfügigkeit des Stoffes beweist ja ganz vorzüglich den Reichthum und die Weisheit der Kunst, die in ein Gebilde von Lehm und Asche eine solche Harmonie, so verschiedene und mannigfaltige Sinne und soviel Verständniß zu bringen vermocht hat.
Über den Ausdruck ὀνειροπολεῖν sieh die Note 1 in der I. Homilie „von der Buße” I. Bd. Seite 352. ↩
Gen. 3, 5. ↩
Nämlich „Gott gleich zu werden.” ↩
Ἀπαθανατίσαι, d. h. sich für unsterblich auszugeben. ↩
Isai. 14, 13. 14. ↩
Ebend. V. 11. (Septuag.) ↩
Κεντοῦντές σε τοῦτο ἐροῦσιν; Montf. übersetzt demgemäß et te pungentes hoc dicent. Die Vulg. hat: Interficient et detrahent te - sie werden dich tödten und herabziehen (von deiner eingebildeten Höhe). Nach dem Hebräischen heißt es: „Sie werden dich durchbohrt in die Tiefe hinabstoßen.” ↩
