8.
O wie blind ist doch der Sinn des Menschen! Warum läßt du dich vom flüchtigen Blendwerk der gegenwärtigen fleischlichen Dinge narren? Warum drängst du den Bessern (den Geist), sich dem Schlechteren unterzuordnen? Du kennst doch das Schriftwort: „Alles Fleisch ist wie Gras, und alle seine Herrlichkeit ist wie des Grases Blume."1 Wenn du aber darauf dein Begehren richtest, so erkennst du selbst, daß du tierisch gesinnt bist. Oder liebst du seine Kraft? Jeder Schmerz beugt und bricht sie. Oder seine Schönheit? Sie ist eine leicht wiegende und veränderliche Sache; eine Sache, die ein einziges Fieber oder sonst ein Unfall zerstört. Siehe, die Augen, die den Leib überwachen und führen, versagen, durch irgendeinen Schlag zum Erlöschen gebracht, den Dienst: ist er dann nicht ein lebendiger Leichnam? Siehe, eine schwindsüchtige Lunge läßt, durch starken Auswurf ausgezehrt, alle Knochen ihres Besitzers in ihrer erschreckenden Magerkeit sehen: empfindet nicht dieser fleischlos gewordene, betastbare Schatten bis zu einem gewissen Grade vor sich selbst ein Grauen? Es würde zu weit führen, in Einzelheiten einzugehen. Siehe: eine tödliche Krankheit wirft die ganze Maschine aufs Bett; siehe: von allen Seiten legt sich darauf der Drang des Todes: wird nicht bald sie, die die Herrin der Genüsse war, eine Beute der Krankheiten werden? Und zuletzt nimmt der Tod die noch daliegenden Überbleibsel an sich, und ihr bereitet er noch die Strafen der Hölle! Dann ist das Lustspiel des Fleisches zu Ende, und all der dereinst zur Verschönerung angelegte Schmuck vermag dem Toten nicht zu helfen, wenn er ihm nicht gar schon von den S. 154 Leuten, die Trauer heucheln, noch vom lebendigen Leibe abgerissen wird«
1 Petr. 1, 24. ↩
