1.
Faustus sagte: Ist Gott räumlich begrenzt oder ist er grenzenlos? Wenn euer Gebet, in dem es heisst: Der Gott Abrahams und der Gott Isaaks und der Gott Jakobs (cf. Exod. 3,15), nicht irreführt, dann ist Gott räumlich begrenzt; es sei denn, der Gott, den ihr im Gebet anruft, sei gar nicht der Gott, auf den sich deine Frage bezieht. Im übrigen schränkt ja die Grenzlinie der Beschneidung, welche Abraham, Isaak und Jakob gegenüber der Gemeinschaft der übrigen Völker abgrenzt, auch die Verfügungsgewalt des Gottes auf deren Gebiet ein. Wessen Verfügungsgewalt aber begrenzt ist, der ist auch selber nicht unbegrenzt. Schliesslich erwähnt ihr in diesem Gebetsanruf nicht einmal die Alten, die vor Abraham lebten, ich meine Enoch, Noe und Sem und weitere vergleichbare Gestalten (cf. Gen. 5); ihnen billigt ihr zwar zu, gerecht in der Vorhaut gewesen zu sein; da ihnen aber das Merkmal der Beschneidung noch fehlte, lässt ihr diesen Gott nicht einmal als ihren Gott gelten, sondern einzig als den Gott Abrahams und seiner Nachkommenschaft. Wenn dieser also der eine und grenzenlose Gott ist, was soll dann die pedantisch genaue, geradezu ängstliche Sorgfalt eures Gebetsanrufes, bei dem ihr euch nicht damit begnügt, einfach den Namen Gottes zu nennen, sondern noch beifügt, wessen Gott gemeint ist, nämlich der Gott Abrahams, Isaaks und Jakobs, als ob euer Gebet sich in einem Getümmel von Göttern verirren oder Schiffbruch erleiden würde, wenn es nicht auf das Zeichen Abrahams zusteuern könnte? Dass nun die Juden aus einem ganz bestimmten Grund, nämlich als Beschnittene, diese Gebetsformel verwenden, ist ja durchaus einleuchtend; so machen sie nämlich deutlich, dass sie den Gott der Beschneidung anrufen, im Gegensatz zu den Göttern der Vorhaut. Warum ihr Katholiken aber das gleiche tut, kann ich kaum verstehen; denn obwohl ihr das Zeichen, das Abraham empfangen hat, selber gar nicht trägt, ruft ihr trotzdem dessen Gott an. In Wahrheit ist es doch offensichtlich so – soweit das überhaupt erklärbar ist –, dass die Juden und der Gott der Juden, um sich gegenseitig zu erkennen, d.h. natürlich um sich nicht aus den Augen verlieren, einander wechselseitig mit solcherart Merkmalen gekennzeichnet haben. Gott auf der einen Seite versah die Juden mit der schamlosen Markierung der Beschneidung, um sie, in welchem Land, in welchem Volk auch immer sie sich befänden, durch die Beschneidung als ihm zugehörig kenntlich zu machen; sie anderseits kennzeichneten ihren Gott damit, dass sie ihm die Namen ihrer Vorfahren als Beinamen zufügten, sodass er, wenn er die Worte Gott Abrahams und Gott Isaaks und Gott Jakobs hörte, wo immer er sich aufhielt, mochte es noch so von Göttern wimmeln, sofort erkennen konnte, dass der Anruf ihm galt. Eine ähnliche Situation liegt ja auch vor, wenn mehrere Menschen denselben Namen tragen: wird dieser aufgerufen, reagiert keiner von ihnen darauf, es sei denn, er höre noch seinen Beinamen. So brennen auch Schaf- und Rinderhirten ihrem Vieh Markierungen ein, damit keiner von ihnen ein Tier für sich beansprucht, das ihm nicht gehört. Indem ihr ähnlich wie sie vorgeht, und die Bezeichnung Gott Abrahams und Gott Isaaks und Gott Jakobs verwendet, zeigt ihr zum einen, dass dieser Gott räumlich begrenzt ist, gleichzeitig aber auch, dass ihr ihm nicht zugehört, da ihr ja sein Kennzeichen und Heilssymbol nicht besitzt, nämlich die Verstümmelung des männlichen Geschlechtsteils, woran dieser Gott die Seinen erkennt. Das Fazit: wenn dies der Gott ist, den ihr verehrt (cf. 725,4), ist es völlig klar, dass er räumlich begrenzt ist. Wenn ihr dagegen der Meinung seid, dass Gott grenzenlos ist, müsst ihr zuerst diesem Gott eine Absage erteilen, eure Gebetsformel ändern und für den bisherigen Irrtum Abbitte leisten. Bis jetzt haben wir so argumentiert, dass wir euch, wie mir scheint, von eurem eigenen Gottesbegriff her zur Einsicht bringen konnten; wenn allerdings die Frage auf den höchsten und wahren Gott abzielt, ob dieser gleichzeitig auch grenzenlos ist oder nicht, dann kann uns darüber jener Dualismus des Guten und des Bösen gewiss eine schnelle Antwort geben. Wenn es nämlich das Böse nicht gibt, dann ist Gott in der Tat grenzenlos; dagegen ist er räumlich eingegrenzt, wenn es das Böse gibt. Nun steht aber fest, dass es das Böse gibt. Folglich ist Gott nicht grenzenlos; denn man nimmt ja an ( ), dass das Böse dort seinen Anfang nimmt, wo das Gute endet.
