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Darauf bemerkte Postumianus: „Gewiß, mein Gallus, auf deine Erzählung hin zolle ich dem Glauben der Herrscherin hohe Bewunderung. Allein wie steht es damit, daß nie ein Weib in die Nähe des Martinus gekommen sein soll? Siehe, diese Königin ist nicht nur in seiner Nähe gewesen, sie hat ihn sogar bedient. Mir kommt die Besorgnis, es möchten diejenigen dieses Beispiel einigermaßen vorschützen, welche Frauengesellschaft so lieben“.
Darauf erwiderte Gallus: „Warum achtest du nicht S. 113auf Ort, Zeit und Person, wie uns die Grammatiker lehren? Stelle dir vor Augen, wie er im Palast zurückgehalten und vom Kaiser mit Bitten bestürmt wurde, wie ihm der Glaube der Königin Gewalt antat, wie er bei den traurigen Zeitverhältnissen sich für verpflichtet hielt, Gefangene aus dem Kerker zu befreien, Verbannten die Heimkehr zu ermöglichen, eingezogene Güter zurückzugewinnen. Wie gering hätte der Bischof all das wohl anschlagen müssen, wäre er nicht um solcher Zwecke willen von seinen strengen Grundsätzen etwas abgewichen. Da du aber meinst, es würden manche dieses Beispiel mißbrauchen, so wisse, sie werden sogar glücklich sein, wenn sie sich streng an die Lehre dieses Beispieles halten. Sie sollen beachten, daß es bei Martinus nur einmal im Leben der Fall war, da er schon siebzig Jahre1 zählte. Nicht eine zügellose Witwe, nicht eine leichtsinnige Jungfrau, sondern eine in der Ehe lebende Herrscherin durfte, da auch ihr Gemahl die Bitte unterstützte, ihm bei Tische dienen und aufwarten. Sie setzte sich aber nicht mit ihm zu Tisch und wagte nicht, am Mahle teilzunehmen, sondern erfüllte nur die Pflicht einer Magd. Zieh daraus die Lehre: eine Matrone mag dir dienen, dich aber nicht beherrschen, dienen, aber nicht mit dir tafeln. So hat auch Martha den Heiland bedient und wurde doch nicht zum Mahle zugelassen, vielmehr wurde jene, die lieber zuhörte, der dienenden vorgezogen2 . Doch bei Martinus hat die Königin beides erfüllt: sie war Dienerin wie Martha und Hörerin wie Maria. Wenn jemand dieses Beispiel zum Vorbild nehmen will, so soll er es in allen Punkten festhalten: es muß sich um eine solche Veranlassung handeln, eine solche Person, eine solche Dienstleistung, ein solches Mahl und das im ganzen Leben nur einmal.“
