9.
Ungefähr zur selben Zeit, als Martinus auf der Rückkehr von Trier begriffen war, rannte ihm eine Kuh in den Weg, die von einem Dämon gehetzt wurde. Sie hatte sich von ihrer Herde getrennt, ging auf Menschen los und hatte schon viele mit ihren verderblichen Stößen durchbohrt. Als sie in unsere Nähe kam, riefen uns diejenigen, die ihr von ferne nachliefen, zu, wir sollten uns in acht nehmen. Nachdem das Tier wutschnaubend, mit verdrehten Augen, uns näher gekommen war, erhob Martinus seine Hand und gab ihm den Befehl, stehen zu bleiben. Auf sein Wort hin blieb das Tier sofort unbeweglich stehen. Mittlerweile sah Martinus auf seinem Rücken einen Dämon sitzen. Diesen fuhr er an und sprach: „Weiche von dieser Kuh, du Unheilbringer, quäle das unschuldige Tier nicht weiter.“ Der böse Geist gehorchte und wich. Das junge Tier fühlte gar wohl, daß es wieder freigeworden war; zur Ruhe gekommen, fiel es vor dem Heiligen nieder. Dann suchte es auf des Martinus Geheiß wieder seine Herde auf und gesellte sich zur Schar der andern, friedsamer als ein Lamm.
Es war dies damals, als er, rings von Flammen umgeben, das Feuer nicht spürte. Doch hierüber glaube S. 116ich mich nicht weiter verbreiten zu müssen, da unser Sulpicius es so ausführlich berichtet hat, zwar nicht in seiner Lebensbeschreibung, wo er es übergangen, aber doch nachher in dem Briefe an Eusebius, der damals Priester war, jetzt Bischof ist. Diesen Brief hast du, Postumianus, wie ich annehme, schon gelesen oder hast ihn, wenn er dir bis jetzt unbekannt geblieben, nach Belieben in jenem Schranke zur Verfügung. Ich will nur erzählen, was jener übergangen hat.
Als Martinus einmal Pfarreien visitierte, trafen wir auf eine Jägerschar. Hunde jagten einem Hasen nach. Das Tierlein hatte nur mehr einen ganz kleinen Vorsprung. Ringsum war freies Feld, nirgends bot sich ein Schlupfwinkel. Es lief im Zickzack, um das drohende Todesverhängnis noch aufzuhalten, schon der nächste Augenblick mußte ihm ja den Garaus machen. Bei seiner erbarmenden Milde ging dem Heiligen die gefahrvolle Lage des Tierleins zu Herzen. Er befahl den Hunden, von der Verfolgung abzustehen und das flüchtige Tier entkommen zu lassen. Das erste Wort brachte sie sofort zum Stehen, als hätte man sie festgebunden, ja als hafteten sie vielmehr wie angewurzelt an ihrem Platze. So entwischte das Häslein mit heiler Haut seinen festgebannten Verfolgern.
