10.
Es lohnt sich auch der Mühe, vertrauliche Äußerungen voll geistiger Würze aus dem Munde Martins anzuführen. Einmal fiel sein Blick zufällig auf ein frisch geschorenes Schaf. Da sagte er: "Dieses Tier hat die Vorschrift des Evangeliums erfüllt: zwei Röckchen hatte es, eines schenkte es dem, der keines hatte1 . So sollt auch ihr tun."
Als er ein andermal einen Schweinehirten erblickte, der vor Frost zitterte und mit einem Felle nur notdürftig bekleidet war, sprach er: "Sieh da, Adam; aus dem Paradies verstoßen, mit einem Fell bekleidet2 , weidet er Schweine. Wir aber sollen den alten Adam, der noch S. 117in diesem fortlebt, ablegen und dafür den neuen3 anziehen."
Rinder hatten eine Wiese zum Teil abgeweidet, Schweine einen andern Teil der Wiese durchwühlt, der übrige, noch unberührte Teil prangte frühlingsfrisch in reicher Blumenzier wie ein gestickter Teppich. Da sagte er: ,Das Bild der Ehe haben wir in jenem Teil der Wiese, der, von den Rindern abgeweidet, die Zier des frischen Grüns zwar nicht ganz verloren hat, aber doch keinen Blumenschmuck mehr aufweisen kann. Der Teil, den die Schweine, diese unreinen Tiere, durchwühlt haben, stellt das häßliche Bild der Unzucht dar. Der Teil, der unberührt blieb, veranschaulicht die herrliche Würde der Jungfräulichkeit; er treibt üppiges Grün, bringt überreichen Ertrag; mit prächtigen Blumen über und über besät, leuchtet er wie mit blitzenden Edelsteinen geziert. O selige, Gottes würdige Schönheit! Nichts halt den Vergleich aus mit der Jungfräulichkeit. Deshalb irren jene gewaltig, die die Ehe mit Unzucht auf eine Linie stellen4 , aber auch jene sind arme Toren, welche die Ehe der Jungfräulichkeit gleichmachen wollen5 . Wer aber weise sein will, halte diese Unterscheidung fest: die Ehe gehört in das Gebiet des Erlaubten6 , die Jungfräulichkeit bringt Glorie, die Unzucht wirkt Strafe, wenn sie nicht durch Genugtuung gesühnt wird.'
Luk. 8, 11. ↩
Gen. 3, 21. ↩
Eph. 4, 24; Kol. 3, 10. ↩
So die Enkratiten und auch die Priszillianisten. ↩
So Jovinian und Vigilantius. ↩
"Peitineat ad veniam", vgl. 1 Kor. 7, 6, wo die altlatein. Übersetzungen vielfach "secundum veuiain11 haben, s. Sabatier, Bibl. S. Lat. vers. antiq. Bd. III [Paris 1751] zu dieser Stelle. ↩
