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"Ganz ausgezeichnet", sagte darauf Postumianus, "nötigt dein Wort gewisse Leute unter uns dazu, sich genau an das Beispiel des Martinus zu halten. S. 114Aber ich muß dir sagen, du predigst damit tauben Ohren; denn wollten wir des Martinus Wege wandeln, so wären wir allen Vorwürfen einer verkehrten Anschauung enthoben1 . Übrigens, wie du gewöhnlich, wenn man dich der Vielesserei beschuldigt, dich damit ausredest: "wir sind eben Gallier", so lassen wir uns in dieser Beziehung nie zur Besserung bewegen, weder durch das Beispiel des Martinus noch durch deine Erörterung. Sulpicius, warum verharrst du in so hartnäckigem Schweigen, während wir schon so lange hierüber miteinander sprechen?" "Ich schweige nicht bloß jetzt", gab ich zur Antwort, "ich habe mir schon früher vorgenommen, von solchen Dingen nicht zu sprechen. Denn ich hatte einmal eine leichtfertige Witwe, die sich gerne schminkte und in ihrem zügellosen Leben großen Aufwand machte, getadelt, ebenso ein andermal eine Jungfrau, die für einen mir teuren jungen Mann maßlos schwärmte, während sie doch selbst in meiner Gegenwart auch andere ob ähnlichen Verhaltens häufig auszankte. Durch diesen Tadel habe ich mir so sehr den Haß aller Frauen und aller Mönche zugezogen, daß sich alle diese zusammenscharten und zum Kriege gegen mich verschworen. Aus diesem Grunde bitte ich euch, schweiget, damit nicht auch eure Worte mir wieder Haß eintragen. Wir wollen überhaupt die Erinnerung an derartige Vorkommnisse beiseite lassen und lieber zu Martinus zurückkehren. Also, Gallus, nimm die angefangene Erzählung wieder auf."
Darauf erwiderte jener: "Ich habe euch zwar schon so vieles erzählt, daß meine Worte eurem Verlangen genügen sollten, allein, weil ich eurem Wunsche nicht entgegen sein darf, will ich weiter sprechen, soweit heute noch dazu Zeit ist. Da ich diese Lagerstätte sehe, die zu unserer Nachtruhe hergerichtet wird, kommt mir ins Gedächtnis, wie auch von einer Ruhestätte des Martinus eine wunderbare Kraft ausgegangen ist. Die Sache S. 115verhielt sich so. Claudiomagus2 ist ein Grenzort zwischen dem Gebiet der Bituriger und Turonen. Dort stand eine Kirche, berühmt durch den frommen Wandel ihrer Mönche und nicht minder angesehen wegen einer großen Schar gottgeweihter Jungfrauen. Als Martinus dorthin kam, nahm er im Anbau der Kirche Wohnung. Nach seinem Weggang eilten alle Jungfrauen in jenen Anbau, bedeckten alle Stellen, wo der Heilige gesessen oder gestanden hatte, mit Küssen, und teilten auch die Lagerstätte unter sich, auf der er geruht hatte. Wenige Tage nachher hing eine von ihnen ein Stückchen jenes Strohlagers, das sie als Reliquie für sich gesammelt hatte, einem Besessenen, der in Wutausbrüche verfiel, um den Hals. Sofort, im gleichen Augenblicke wurde der Teufel ausgetrieben und der Mann befreit.
