13.
Sulpicius, was ich dir jetzt erzählen will, dafür bürgt mir dieser da — dabei schaute er auf mich. Eines Tages wachten ich und unser Sulpicius vor des Martinus Türe. Wir saßen schon einige Stunden schweigend da, voll überwältigender Ehrfurchtsschauer, als hätten wir vor einem Engelszelt Wache zu halten, derweil Martinus, da die Zellentüre geschlossen war, nichts davon wußte, daß wir zugegen waren. Da hörten wir nun das Gemurmel eines Zwiegespräches. Starres Staunen überkam uns, und wir konnten uns nicht verhehlen, daß etwas Überirdisches vor sich gehe. Nach zwei Stunden ungefähr kam Martinus zu uns heraus. Unser Sulpicius stellte an ihn — es stand ja niemand in vertrauterem Verkehre mit ihm — die Bitte, er möge unsere fromme Neugier befriedigen und uns mitteilen, worin S. 121das geheimnisvolle Erschaudern, das uns erfaßt hätte, seinen Grund habe, und mit wem er in seiner Zelle gesprochen habe; wir hätten außen einen schwachen, kaum vernehmbaren Klang von Stimmen gehört. Lange und ernstlich zauderte er. Doch auch wider seinen Willen konnte ihm Sulpicius alles entlocken. Vielleicht klingt es mehr als unglaublich, was ich erzähle; allein Christus ist mein Zeuge, ich sage gewiß die Wahrheit, es müßte denn jemand so ruchlos sein und Martinus für einen Lügner halten. So sprach also Martinus: ,Ich will es euch sagen, doch saget es, bitte, nicht weiter: Agnes, Thekla und Maria waren bei mir.' Er schilderte uns dann die Gesichtszüge und das Äußere jeder einzelnen. Er gestand, daß sie ihn nicht bloß an diesem Tage, sondern schon öfter besucht hätten. Er mußte auch zugeben, daß er Petrus und Paulus öfter gesehen habe. Die Teufel schalt er, wenn einer zu ihm kam, mit ihrem Namen. Merkur war, wie er es zu fühlen bekam, sein besonderer Widerpart; von Jupiter sagte er, er sei roh und stumpfsinnig. Diese Äußerungen deuchten auch vielen Mönchen im selben Kloster unglaublich; um so weniger kann ich das Vertrauen hegen, daß alle meine Zuhörer daran glauben. Hätte Martinus nicht ein überaus bewundernswertes Tugendleben geführt, so wäre er in unsern Augen nicht in solchem Ruhmesglanz erstrahlt. Freilich ist es nicht zu verwundern, wenn menschliche Schwäche an den Werken des Martinus Zweifel hegte, da ja bis heute, wie wir sehen, viele nicht einmal den Evangelien geglaubt haben. Daß Martinus oft mit Engeln vertrauten Umgang gepflogen hat, dessen sind wir ganz sicher.
Was ich weiter erzählen werde, ist nicht von großer Bedeutung, ich will es aber doch erwähnen. In Nimes fand eine Bischofsversammlung1 statt. Martinus wollte an ihr nicht teilnehmen, wünschte aber doch, den Gegenstand der Verhandlung zu erfahren. Zufällig war mit ihm unser Sulpicius auf einem Schiff zusammen, S. 122aber Martinus saß wie immer abseits von den andern in einem Winkel des Schiffes. Dort teilte ihm ein Engel mit, was auf der Synode verhandelt wurde. Nachher forschten wir genau nach der Zeit jener Synode und brachten in sichere Erfahrung, daß es gerade der Tag der Beratung war und daß jene Beschlüsse dort gefaßt wurden, die der Engel Martinus mitgeteilt hatte.
Nach Duchesne, Fast. episc. I [1907] 366 am 1. Oktober 396; Martinus nahm seit 386 an keiner Synode mehr teil [Dial. III, 13, 6]. ↩
