25.
„Denn mein Schwert“, so heißt es, „ist trunken geworden im Himmel; es wird jetzt herabfahren auf Edom“1. Das Schwert des Herrn ist trunken im Himmel, und dein Thron soll allein sicher stehen in Heiligkeit? Es wird auf Edom, d. h. das Blutige oder das Irdische herabfahren, damit wir aus des Propheten Mund vernehmen, daß jedes Land des Gerichtes bedarf. Deshalb heißt es weiter: „Sein Opfer hat der Herr in Bosra (das mit Fleisch übersetzt wird) ausersehen, und ein großes Morden wird er im Lande Edom (d. h. im Blute) veranstalten“2. Deshalb schreibt auch der Apostel: „Fleisch und Blut werden das Reich Gottes nicht besitzen“3. — „Wehe dem, der seinem Schöpfer widerspricht, wehe dem, der zu seinem Vater sagt: Warum hast du mich gezeugt? und zu seiner Mutter: Warum hast du mich geboren?“4 Dies gilt für diejenigen, die fragen: „Warum bin ich so geschaffen worden, daß ich nicht auf ewig die Sünde meiden kann? Warum bin ich als ein Gefäß gebildet worden, das nicht dauerhaft ist wie ein ehernes, sondern das bei jeder Berührung wie ein irdenes leicht zerbricht?“ — „Wir alle sind in die Irre gegangen wie die Schafe, und unser aller Sünden hat der Herr getragen“5. Er hat sich umgesehen und eifrig Rundschau gehalten und keinen <453> gefunden, der gerecht richtete, der in allen Dingen seinem Willen nachkam. Deshalb hat sein Arm das Heil gebracht und seine Gerechtigkeit alles gerettet, damit die ganze Welt sich Gott unterwerfe und durch seine Milde erlöst werde. Denn wir waren unrein, wir alle, nicht etwa nur einige wenige, wie das Tuch eines blutgängigen Weibes6, obwohl uns alle unsere Gesetzeswerke angerechnet worden sind. — Zu Jerusalem spricht der Herr bei Ezechiel: „Du warst vollkommen in meinem Schmucke“7. Der Sinn ist: „Nicht in deinen Werken, nicht in deinem Gewissen und deiner Herzenshoffart, sondern in meinem Schmucke, mit welchem ich dich in meiner Güte ausgestattet hatte“. Im weiteren Zusammenhang wendet sich Gott an die Stadt, die nicht durch ihr Verdienst, sondern durch seine Barmherzigkeit gerettet wird, mit den Worten: „Ich will gedenken meines Bundes, den ich mit dir geschlossen habe in den Tagen deiner Jugend, und ich will mit dir einen ewigen Bund errichten. Du wirst gedenken deiner Wege und dich schämen“8. Ferner: „Ich will meinen Bund mit dir aufrichten, und du sollst erfahren, daß ich der Herr bin, damit du, wenn ich mit dir wegen alles dessen, was du getan hast, versöhnt sein werde, dich daran erinnerst und dich schämst und vor Schande deinen Mund nicht mehr auftust. So spricht Gott der Herr“9. Das Wort Gottes bezeugt hier deutlich, was an anderer Stelle gesagt wird: „Wenn er dich reinigt, so wird er dich nicht unschuldig machen“10. Auch die Gerechten und jene, die nach der Sünde in den früheren Zustand zurückversetzt worden sind, mögen es nicht wagen, den Mund zu öffnen. Vielmehr sollen sie mit dem Apostel sprechen: „Ich bin nicht würdig, ein Apostel genannt zu werden, weil ich die Kirche Gottes verfolgt habe“11. — Endlich wendet sich Gott durch denselben Propheten auch an solche, die seiner Barmherzigkeit teilhaftig geworden sind, wenn er an anderer Stelle spricht: „Ihr werdet zurückdenken an eure Wege und an alle eure Laster, mit S. 454 welchen ihr euch befleckt habt, und Mißfallen wird in euch aufsteigen wegen all der Bosheiten, die ihr verübt habt. Ihr werdet erfahren, daß ich der Herr bin, wenn ich euch Gutes tue um meines Namens willen, aber nicht an euch handeln werde nach euren schlechten Wegen oder nach euren außergewöhnlichen Missetaten“12. Wir wollen erröten, aber nicht so sprechen wie jene, die bereits den Siegespreis errungen haben. Wir wollen als Sünder auf Erden, noch eingehüllt in einen gebrechlichen und sterblichen Körper, nicht so reden, wie auch die Heiligen im Himmel reden, die mit Unverweslichkeit und mit Unsterblichkeit begabt sind. — Es heißt: „Und ihr sprechet: Der Weg des Herrn ist nicht recht, während doch eure Wege schlecht sind“13. Der Stolz der Pharisäer geht so weit, daß sie die Sünden des eigenen Willens auf des Schöpfers Ungerechtigkeit zurückführen und so dessen Gerechtigkeit schmähen14. — Die Priester des mystischen Tempels, der als die Kirche gedeutet wird, die Söhne Sadoks, gehen mit den Amtskleidern nicht hinaus zum Volke, damit sie nach ihrer Heiligung durch den Umgang mit den Menschen nicht befleckt würden15. Und du, der du inmitten des Volkes stehst, glaubst als einziger aus dem Volke rein zu sein?
Is. 34, 5. ↩
Is. 34, 6. בָּשָׂר = Fleisch; דָם = Blut. ↩
1 Kor. 15, 50. ↩
Is. 45, 9 f. ↩
Is. 53, 6. ↩
Is. 64, 6. ↩
Ezech. 16, 14. ↩
Ezech. 16, 60 f. ↩
Ezech. 16, 62 f. ↩
Nah. 1, 3. ↩
1 Kor. 15, 9. ↩
Ezech. 20, 43 f. ↩
Ezech. 18, 25. ↩
Nach Flavius Josephus (Antiqu. XIII, 5, 9) haben die Pharisäer einer fatalistischen Anschauung gehuldigt, da sie manches, wenn auch nicht alles, auf unabweisbares Verhängnis zurückführten. ↩
Ezech. 44, 19. ↩
