29.
Darum sagen auch wir, daß die Gerechten heilige und, wenn sie auch früher gesündigt haben, Gott wohlgefällige Männer sind, allerdings nicht nur durch ihr Verdienst, sondern infolge der Milde desjenigen, dem jede Kreatur unterworfen und auf dessen Barmherzigkeit sie angewiesen ist. Die Häretiker, die sich stolz erheben und sprechen: „Wir haben uns selbst Hörner gemacht“1, mögen einmal das nachstehende, an Moab gerichtete Wort beachten: „Wir haben gehört von dem Dünkel Moabs; er ist stolz gar sehr“. „Seine Überhebung, seine Eitelkeit und Ruhmsucht, sein aufgeblasenes Wesen habe ich erkannt“, spricht der Herr. „Seinem Dünkel entspricht jedoch in keiner Weise seine Macht“2. Von derartigen Leuten gilt das Wort: „Ihre (offenbar der Herde des Herrn) Feinde beteuern: Wir haben nicht gesündigt, obwohl sie sich vergangen haben gegen die Zier der Gerechtigkeit und gegen die Erwartung der Väter“3. — Willst du wissen, wann das Ende aller Sünden sein wird? Dann vernimm folgenden Ausspruch desselben Propheten: „In jener Zeit, spricht der Herr, wird man in Israel nach einer Missetat suchen, S. 459 aber es wird keine vorhanden sein, und nach einer Sünde in Juda, aber man wird keine finden“. Warum? so frage ich. Die Antwort folgt in den Worten: „Weil ich ihnen barmherzig sein werde“4. Wo aber Barmherzigkeit zur Anwendung kommt, da ist die Sünde voraufgegangen. Nimm darum das Können5 fort, und ich will zugeben, daß alles, insoweit Gott es gibt, vorhanden ist! Gut ist es, in Ruhe auf Gottes Hilfe zu warten6. Gut ist es, sich in den Staub niederzulassen, seine Wange dem hinzureichen, der uns schlägt, mit Schmach gesättigt zu werden und auf den Herrn zu hoffen7. Wenn er auch das Urteil der Verwerfung ausgesprochen hat, so erbarmt er sich doch nach der Menge seiner Erbarmungen. Denn er hat keine Freude daran, die Menschenkinder zu demütigen und zu verwerfen8. Es ist zwecklos, daß der Mensch murrt über seine Sünden. Laßt uns vielmehr unsere Wege durchforschen, sie prüfen und dann zum Herrn zurückkehren! Wir wollen unsere Herzen samt unseren Händen zum Herrn im Himmel erheben und zu ihm sprechen: „Wir haben gottlos gehandelt und Deinen Zorn erregt; darum bist Du unerbittlich“9.
Am. 6, 14. Das Horn war im Altertum das Symbol der Kraft und Stärke. Die Irrlehrer sagen also: „Wir haben uns selbst die Kraft, gut zu handeln, gegeben“. ↩
Is. 16, 6. ↩
Jer. 50, 7. ↩
Jer. 50, 20. ↩
Das selbständige Können auf Grund natürlicher Befähigung ohne göttliche Gnadenhilfe. ↩
Klagel. 3, 26. ↩
Klagel. 3, 29. ↩
Klagel. 3, 32 f. ↩
Klagel. 3, 39―42. ↩
