2.
Du schreibst mir, daß des Origenes irrige Auffassungen viele getäuscht haben, daß aber mein heiliger Sohn Oceanus 1 gegen diese Torheiten ankämpft. Diese Nachricht erfüllt mich teils mit Schmerz, teils mit Freude. Denn ich entnehme ihr, daß harmlose Menschen dem Irrtum verfallen sind, daß aber auch ein sachkundiger Mann den Irrenden zu Hilfe kommt. Nun willst Du die Ansicht meiner unmaßgeblichen Persönlichkeit wissen. Ich soll entscheiden, ob man mit Faustinus 2 den ganzen Origenes ablehnen müsse, oder ob man sich jenen, zu denen auch ich gehöre, anzupassen habe, die behaupten, man müsse ihn lesen. Meine Auffassung geht dahin, daß Origenes wegen seiner Gelehrsamkeit so zu lesen ist, wie wir Tertullian, 3 Novatus, 4 Arnobius, 5 Apollinaris 6 und einige andere Kirchenschriftsteller, griechische sowohl wie lateinische, zu lesen pflegen. Die richtigen Auffassungen machen wir uns zu eigen, das Fehlerhafte lehnen wir ab. S. b191 Damit folgen wir dem Apostel, der sagt: „Prüfet alles, und behaltet das Gute!“ 7 Im übrigen will es mir scheinen, daß sowohl diejenigen, welche sich von übergroßer Liebe zu Origenes leiten lassen, als auch jene, aus denen Groll und Übelwollen spricht, dem Fluche des Propheten verfallen, der da spricht: „Wehe denen, die das Schlechte gut und das Gute schlecht nennen, die das Bittere süß und das Süße bitter machen!“ 8 Es ist ebenso falsch, wegen seiner Gelehrsamkeit sich zu seinen irrigen Ansichten zu bekennen, als rundweg einiger verkehrter Anschauungen wegen alles abzulehnen, auch wenn es sich um nützliche Erklärungen zur Hl. Schrift handelt. Wenn aber Anhänger und Gegner am Zankseile zerren, keinen Mittelweg und kein Maß finden, vielmehr alles billigen oder alles bekämpfen wollen, dann muß ich schon sagen, daß mir eine fromme Einfalt lieber ist als eine gelehrt aufgemachte Gotteslästerung. Unser ehrwürdiger Mitbruder Tatianus 9 erwidert Deine Grüße aufs herzlichste.
Römischer Patrizier, Freund des Pammachius und Verwandter Fabiolas. ↩
Sonst unbekannt, vielleicht ein Mönch („frater“ Faustinus). ↩
Tertullian hatte sich um 207 dem Montanismus zugewandt. Trotzdem benutzte Hieronymus seine Schriften, auch die aus der häretischen Epoche, fleißig. ↩
Priester zu Karthago, der aber nicht schriftstellerisch tätig war. Es dürfte eine Verwechslung mit dessen Freund und Parteigänger Novatian, einem christlichen Schriftsteller des 3. Jahrhunderts, vorliegen, der wegen seiner rigoristischen Auffassungen in Gegensatz zur Kirche trat. ↩
Der Afrikaner Arnobius bekämpfte in seiner Schrift „Adversus nationes“ (305) das Heidentum. Doch ist sein religiöses Bewußtsein noch recht schwankend und ungeläutert (B. II 519). ↩
Vgl. S. 116 Anm. 5. ↩
1 Thess. 5, 21. ↩
Is. 5, 20. ↩
Tatianus, in einigen Handschriften als Diakon bezeichnet, ist nicht näher bekannt. ↩
