Einleitung
Wir dürfen uns in Rom das Christentum der ersten Jahrzehnte nach dem Erlaß des Mailänder Ediktes als durchschnittlich auf sittlicher Höhe stehend denken, in dem der Glaube der Märtyrerkirche lebendig nachwirkte. Die politische Entwicklung führte aber zu Massenbekehrungen, die sich nicht selten auf Erwägungen der Nützlichkeit zurückführten. Es bildete sich ein Heidentum mit christlichem Anstrich heraus, das sich wohl der Taufe unterzog, aber von den höheren sittlichen Anforderungen des Christentums sich freizuhalten suchte. Im Gegensatze hierzu war die immer einflußreicher werdende monastische Richtung mit ihren strengen Auffassungen bestrebt, das Leben der Christen in eine höhere sittliche Sphäre hinaufzurücken. Beide Richtungen mußten scharf aufeinanderstoßen. Das laxe Element sah sich behindert in seinen Lebensformen, zumal es in der mönchischen Bewegung einen ständigen Vorwurf gegen seine christliche Betätigung erblickte. Es ist daher zu verstehen, daß ein Mann wie Jovinian, der die monastische Bewegung, die sich nicht immer von Übertreibungen freigehalten haben dürfte, bekämpfte, einen großen Anhang fand. Vor allem lieferte er den laxen Christen den theologischen Unterbau, der es ihnen gestattete, ohne Furcht für ihr Seelenheil auf ihrem bisherigen Wege weiter zu wandeln.
Jovinian, der selbst Mönch war und ehelos lebte, verteidigte seine Auffassungen in einer Schrift, die viel S. b148 gelesen wurde. Augustinus führt darüber Klage, daß eine Anzahl von Personen beiderlei Geschlechtes, welche Jungfräulichkeit gelobt hatten, unter dem Einflüsse ihres Lehrers ihr Gelübde brachen und eine Ehe eingingen. 1 Jovinian lehrte die Gleichheit und grundsätzliche Sündenlosigkeit aller, welche mit vollem Glauben die Taufe empfangen hatten. Ihnen könne der böse Feind und die Versuchung nichts mehr anhaben. Allen Getauften komme das gleiche Verdienst zu. Fasten und Abtötung haben damit ihren Wert verloren. Die Jungfrau, die Witwe und die Verheirateten haben, einmal getauft, den gleichen Lohn zu beanspruchen bei sonst gleichen Werken. Kein Stand überragt den anderen. Damit wurde Jovinian zum Apostel der Mittelmäßigkeit, zum Förderer der Sorglosigkeit, zum Totengräber jeglichen Strebens nach Fortschritt sowohl im Individuum als in der Gesellschaft. Folgerichtig durchgeführt, mußten seine Lehren zur grundsätzlichen Kriegserklärung gegen das monastische Leben an sich als auch gegen seine charakteristischen Äußerungen werden und zuletzt zum sittlichen Verfall fuhren. Es ist daher begreiflich, daß Papst Siricius, obwohl er kein Freund der aszetischen Bewegung gewesen zu sein scheint, die Lehren Jovinians auf einer Synode im Jahre 390 verurteilte und ihn samt acht seiner Anhänger in den Bann tat. Ein Jahr später erfolgte eine weitere Verurteilung durch den hl. Ambrosius in Mailand, wohin sich Jovinian zurückgezogen hatte. Aber mit der Verurteilung war der Einfluß Jovinians nicht gebrochen. Vielmehr richteten seine Irrlehren in der Hauptstadt noch weiterhin große Verwirrung an. In ernsten Kreisen empfand man das Bedürfnis, dem Unwesen durch eine Gegenschrift zu steuern. Der Senator Pammachius, der bei der Verurteilung Jovinians kräftig mitgewirkt hatte, übersandte an Hieronymus ein Exemplar des häretischen Werkes mit der Bitte um Widerlegung. Die Wahl war offenbar auf Hieronymus gefallen, weil er seinerzeit in Rom Helvidius, der ähnliche Auffassungen vertrat, literarisch niedergerungen S. b149 hatte, dann aber auch wohl deshalb, weil Jovinian seine Lehre auf die Schrift aufbaute. Da mochte Hieronymus die geeignetste Persönlichkeit zur Widerlegung sein.
Inzwischen waren sieben Jahre seit dem Weggang unseres Kirchenvaters aus Rom vergangen, und alle Brücken schienen abgebrochen. Denn aus dieser Zeit sind höchstens zwei 2 Briefe erhalten, die aus Bethlehem nach Rom gingen. Man kann sich denken, wie es Hieronymus schmeicheln mußte, daß Rom, das ihn einst verstoßen hatte, in den Tagen der Not wieder den Weg zu ihm fand. Ohne seine rettende Hilfe schien das mönchische Ideal gefährdet zu sein. Mit Lust und Liebe machte er sich an die Arbeit und veröffentlichte die stilistisch und inhaltlich sorgfältig ausgearbeiteten Bücher gegen Jovinian (392/93). Galt es doch zu verteidigen, was ihm Lebensinhalt geworden war. Doch mußte er zu seiner schmerzlichen Enttäuschung feststellen, daß keine glückliche Hand ihm die Feder geführt hatte. Seine Schrift hatte die Lage in Rom nur verworrener gemacht. Freund und Feind hatten sich sozusagen um die einzelnen Exemplare des Werkes gerissen, und der Schaden war so groß, daß Pammachius alle Exemplare, deren er habhaft werden konnte, aufkaufte. Die Gegner aber tarnten den Kampf für Jovinian in geschickter Weise in einen Kampf gegen Hieronymus um. Woran lag dies?
Hieronymus hatte in seiner Antwort des Guten zuviel getan. Er war für das hohe Gut der Jungfräulichkeit eingetreten, aber auf Kosten der Ehe und zum Teil in Ausdrücken, denen es an Delikatesse mangelte. Was Satiriker und Komiker gegen die Ehe und ihre Schattenseiten geschrieben hatten, wird zusammengetragen. Sie erscheint als ein minderes Übel. Besonders gegen die zweite und dritte Ehe geht er an und läßt sich hierbei ins Schlepptau der überscharten Logik Tertullians nehmen. Hieronymus ist kein Manichäer, der die Ehe verurteilt. Dafür zeugen viele Stellen in seinen Schriften. Aber die ernsten Christen, die im Ehestande lebten, mußten von seinen Ausführungen unangenehm berührt S. b150 werden. 3 Er hatte in der Hitze des Gefechtes vergessen, daß es sich um eine ernste theologisch-dogmatische Auseinandersetzung handelte. Seine Ausführungen erinnern an das Forum, aber nicht an die Studierstube. Es kommt zu sehr der Satiriker und Rhetor, der mit allen Kniffen der Schule arbeitet, zum Wort, während der Theologe im Hintergrunde bleibt. Außerdem waren manche seiner Schriftbeweise, weil von der Allegorese ausgehend, anfechtbar. Er hat seinen Fehler auch eingesehen und entschuldigt sich selbst damit, daß er in der Abwehr γυμναστικῶς und nicht δογματικῶς vorgegangen sei. 4
Von jenseits des Meeres, weitab vom Kampfplatz, konnte er ohne Hemmungen seiner Feder die Zügel schießen lassen. Aber Pammachius und seine Freunde standen zu Rom im Schützengraben, wo ihnen mit Übertreibungen und Dithyramben nicht gedient war. Sie mußten fürchten, daß sich neue Gegner zu den alten gesellten; ja sie mochten wohl eine Zeitlang das Empfinden gehabt haben, daß durch die Antwort aus Bethlehem das monastische Leben als solches samt seiner schönsten Perle, der Jungfräulichkeit, überhaupt für die Zukunft gefährdet sei.
Hätte Hieronymus die Erhabenheit des jungfräulichen Standes verteidigt, alles der Ehe Abträgliche weggelassen und darauf hingewiesen, daß schon aus rein natürlichen Gründen die Ehelosigkeit nur für einen beschränkten Kreis von Personen in Betracht kommen kann, 5 dann hätte er seinen römischen Freunden einen Dienst erwiesen. Jetzt aber ist er selbst in die Defensive gedrängt. Er sendet ein umfangreiches Schreiben, den vorliegenden Brief, an Pammachius, mit dem er sich nun in ernster Weise über das ganze Problem auseinandersetzt. Seinen Standpunkt hält er im allgemeinen fest, ist aber in der Form gemäßigter und läßt sich S. b151 doch zu einer Reihe von Milderungen herbei, wenn sie ihm auch nicht gerade leicht gefallen sein mögen.
Da in dieser Angelegenheit alles Schlag auf Schlag ging, so kann der Brief an Pammachius nur wenige Monate nach der Streitschrift gegen Jovinian geschrieben sein und muß daher in das Jahr 393 fallen.
Augustinus, De haeres. 82 (M PL XLII 45 f.); Retractat. II 48 (CSEL XXXVI 156 f. [Knöll]). ↩
Vgl. BKV II. Reihe XVI 49. 293. ↩
Mit beißendem Hohn wendet sich Hieronymus in ep. 50 ad Domnionem gegen einen Mönch, der seine Bücher gegen Jovinian in der Öffentlichkeit abfällig beurteilt hatte. ↩
Ep. 49 (48), 13. ↩
Dieser Vorbehalt findet sich Adv. Vigil. 15 (BKV XV 321). ↩
