Dritter Artikel. Die 5chwere der Sünden ist verschiedentlich gemäß den Gegenstanden.
a) Dies scheint nicht der Fall zu sein. Denn: I. Die Schwere der Sünde gehört zur Eigentümlichkeit oder zur Seinsweise der Sünde selber. Der Gegenstand der Sünde aber ist deren Stoff oder Materie. Also nach der Verschiedenheit der Gegenstände richtet sich nicht die Schwere der Sünde. II. Die Schwere der Sünde ist die Vermehrung in deren Bosheit. Nicht aber hat die Sünde Bosheit in sich von seiten des Gegenstandes her, dem sie zugewendet ist; sondern vielmehr von seiten der Abkehr vom letzten Endzwecke. Also die Gegenstände der Sünde beeinflussen nicht deren Schwere. III. Die Sünden, deren Gegenstände verschieden sind, haben Verschiedenheit untereinander der „Art“ nach. Was aber der „Art“ nach verschieden ist, das läßt keinen Vergleich zu, wie Physik. 7. bewiesen wird. Auf der anderen Seite erhalten die Sünden ihr Gattungswesen von den Gegenständen her. Unter verschiedenen Sünden aber ist die eine der Gattung nach größer als die andere; wie z. B. der Mord größer ist als der Diebstahl. Also hängt die Verschiedenheit in der Schwere der Sünden von den Gegenständen ab.
b) Ich antworte, wie die eine Krankheit schwerer ist als die andere, so seien auch unter den Sünden die einen schwerer als die anderen. Wie nämlich die Gesundheit in der gleichmäßigen Abmessung der Säfte besteht, soweit eine solche der betreffenden Natur des sinnbegabten Wesens zuträglich ist; — so besteht das Gut der Tugend darin, daß die menschliche Thätigkeit bemessen wird nach der entsprechend zuträglichen Regel der Vernunft. Nun ist offenbar eine Krankheit um so größer, je mehr gestört wird das gebührende Gleichmaß der Säfte mit Rücksicht auf das erste, das Lebensprincip; wie z. B. eine Krankheit, welche im menschlichen Körper vom Herzen kommt oder von einem Organ, das mit dem Herzen in nächster Verbindung steht, gefährlicher ist als eine andere, die in einem Organ ihren Sitz hat, das vom Herzen weiter entfernt ist. Also ist auch eine Sünde um so größer, je mehr die Unordnung ein Princip betrifft, was in der Ordnung der Vernunft früher ist. Die Vernunft nun ordnet im Thätigsein Alles vom Zwecke aus. Je mehr also eine Sünde von einem umfassenderen Zwecke aus geschieht, desto größer ist sie. Die Gegenstände der menschlichen Thätigkeiten aber bilden deren Zwecke; und somit wird nach der Verschiedenheit der Gegenstände die Verschiedenheit in der Schwere der Sünde bemessen. So haben die äußeren Dinge Beziehung zum Menschen als zu ihrem Zwecke; und der Mensch steht in Beziehung zu Gott als zu seinem Zwecke. Eine Sünde also, welche auf die Substanz des Menschen sich richtet, wie der Mord, ist schwerer wie eine Sünde, die auf die äußeren Dinge sich richtet wie der Diebstahl; und noch größer ist die Sünde, die gegen Gott selber begangen wird wie der Unglaube, die Lästerung u. dgl. Und weil nun die Sünden ihre Gattung haben von den Gegenständen her, deshalb ist der Unterschied, der von den Gegenständen abhängt, in der Beurteilung der Schwere der Sünden der erste und entscheidende; denn er folgt unmittelbar der Gattung.
c) 1. Der Gegenstand ist wohl der Stoff oder die Materie, um den herum die Sünde sich vollzieht; — er ist aber auch der Zweck, insofern die Absicht des Handelnden auf ihn sich richtet. Die Wesensform der moralischen Thätigkeit aber hängt vom Zwecke ab. (Kap. 18, Art. 6.) II. Aus der ungeregelten Hinkehr zum veränderlichen Gute folgt eben die Abkehr vom unvergänglichen Gute, worin der Charakter des Bösen sich vollendet. Also gemäß der Verschiedenheit dessen, was zur Hinkehr gehört, muß folgen die verschiedene Schwere in der Bosheit der Sünde. III. Alle menschlichen Thätigkeiten kommen gewissermaßen in einer einzigen „Art“ überein, je nachdem sie Beziehung haben zum letzten Endzwecke; und sonach haben alle menschlichen Thätigkeiten Beziehung zu einander. Also alle Sünden lassen untereinander einen Vergleich zu.
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