Vierter Artikel. Ohne die Gnade kann der NIensch nicht die Gebote erfüllen.
a.) Dies scheint aber. Denn: I. Paulus sagt (Röm. 2.): „Die Heiden, welche das Gesetz nicht haben, thun kraft ihrer Natur das, was das Gesetz vorschreibt.“ Also thun sie es ohne Gnadenbeistand. II. Hieronymus sagt (ep. ad Damas.): „Fluchwürdig sind jene, welche meinen, Gott schreibe Unmögliches vor;“ dies aber wäre bei der gemachten Annahme der Fall. III. Das größte Gebot ist: „Du sollst Gott den Herrn lieben aus deinem ganzen Herzen,“ nach Matth. 22. Der Mensch aber kann kraft seiner Natur Gott über Alles lieben. Auf der anderen Seite sagt Augustin (Haer. 88.): „Das gehört zur Häresie der Pelagianer, daß sie glauben, der Mensch könne ohne den Beistand der Gnade alle göttlichen Gebote erfüllen.“ k) Ich antworte, soweit es auf die Substanz der vorgeschriebenen Werke ankommt, wie das Gerechte, das Starke thun, konnte der Mensch im Stande der Unversehrtheit (nicht aber in der verderbten Natur) die göttlichen Gebote erfüllen; denn sonst hätte er in jenem Stande nicht anders können als sündigen; — wird aber die Art und Weise in Betracht gezogen, diese Werke zu thun, nämlich daß sie aus heiliger Liebe vollzogen werden, so konnte weder im Stande der verderbten noch der unversehrten Natur der Mensch die göttlichen Gebote ohne die Gnadenhilfe thun. Deshalb sagt Augustin (de corr.“ et grat. 2.): „Nicht nur damit sie wissen was sie zu thun haben, da die Gnade es zeigt; sondern auch damit sie in Liebe vollziehen, was sie wissen, da die Gnade dies giebt.“ Immer bedürfen die Menschen aber außerdem noch des Beistandes Gottes, der den Anstoß giebt zur Thätigkeit.
c) I. Augustin sagt (de spir. et litt. 27.): „Möge das niemanden erregen, daß der Apostel schreibt, sie thäten kraft der Natur was das Gesetz vorschreibt; denn das thut der Geist der Gnade, daß Er das Bild Gottes, nach dem wir gemacht sind, in uns wiederherstellt.“ II. Was wir mit dem Beistande Gottes können, das ist uns nicht schlechthin unmöglich: „Was wir mit Hilfe von Freunden können, das können wir gewissermaßen von uns selber aus;“ sagt Aristoteles. (3 Ethic. 3.) Deshalb schreibt (l. c.) Hieronymus: „So ist unser freie Wille ein wirklich freier Wille, daß wir sagen müssen, wir bedürften immer des göttlichen Beistandes.“ III. Soweit das Gebot der Liebe kraft der heiligen Liebe erfüllt werden soll, kann es der Mensch nicht kraft seiner Natur erfüllen.
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