Erster Artikel. Die Rechtfertigung des Sünders ist der Nachlaß der Sünden.
a) Dies scheint nicht. Denn: I. Die Sünde ist allen Tugenden entgegengesetzt; nicht bloß der Gerechtigkeit, wie das hier vorausgesetzt wird. Also ist nicht jeder Nachlaß der Sünde immer eine „Gerechtmachung“ d. h. ein Weg zur Gerechtigkeit. II. Ein Jegliches muß nach dem benannt werden, was in ihm die hauptsächlichste Stelle einnimmt; wie 2. de anima gesagt wird. Der Nachlaß der Sünden aber vollzieht sich hauptsächlich durch den Glauben, nach Act. 15.: „Durch den Glauben reinigend ihre Herzen;“ und durch die heilige Liebe: „Alle Sünden bedeckt die Liebe.“ (Prov. 10.) Also mußte der Nachlaß der Sünden nicht nach der Gerechtigkeit benannt werden, sondern nach dem Glauben oder der Liebe. III. Nachlaß der Sünden ist dasselbe wie Berufung; denn gerufen wird wer fern ist und fern von Gott ist man durch die Sünde. Die Berufung aber geht der Rechtfertigung vorher, nach Röm. 8.: „Die Er berufen, die hat Er auch gerechtfertigt.“ Also ist die Rechtfertigung nicht der Nachlaß der Sünden. Auf der anderen Seite sagt die Glosse zur genannten Stelle Röm. 8.: „Durch den Nachlaß der Sünden.“ Also ist Rechtfertigung dasselbe wie Nachlaß der Sünden.
b) Ich antworte, die Rechtfertigung, soweit man sie in demjenigen, der gerechtfertigt wird, betrachtet, schließe ein die Bewegung zur Gerechtigkeit hin; wie das Warmwerden einschließt die Bewegung zur Wärme hin. Da aber die Gerechtigkeit ihrem Wesen nach in sich enthält eine gewisse Geradheit der Ordnung, kann man sie in doppelter Weise betrachten: einmal insoweit die rechte Ordnung in der betreffenden Thätigkeit selbst angetroffen wird; und danach besteht eine eigene besondere Tugend der Gerechtigkeit, sei es daß die diesbezügliche menschliche Thätigkeit im Verhältnisse steht zu einem einzelnen besonderen Menschen, sei es daß sie die öffentliche Gerechtigkeit sei, welche auf das Gemeinbeste sich richtet; — dann, insoweit sie einschließt eine gewisse Geradheit der Ordnung in der inneren Verfassung des Menschen, der nämlich in dem, was als Höchstes in ihm sich findet, Gott Unterthan ist und in seinen niedrigeren Kräften gemäß der Vernunft geordnet sein muß. Diese innere Verfassung nun nennt Aristoteles (5 Ethic. ult.) „die Gerechtigkeit, welche figürlich so genannt wird.“ Da nun kann, mit Rücksicht nämlich auf diese letztere Auffassung der Gerechtigkeit, noch ein Unterschied gemacht werden; 1. soweit, wie dies bei Adam als er die Urgerechtigkeit empfing, der Fall war, die Form der Gerechtigkeit in der Seele einfach fehlt, mag auch keine Sünde vorhanden sein; — oder 2. soweit die Bewegung zur Gerechtigkeit vom Gegensatze, also von der Sünde, ausgeht, so daß hier die Rechtfertigung besagt eine Veränderung aus dem Stande der Ungerechtigkeit in den der Gerechtigkeit. So nun wird, nach dieser letzten Weise, von der Rechtfertigung hier gesprochen. Danach sagt Paulus (Röm. 4.): „Demjenigen, der nicht wirkt, glaubt aber an jenen, der den Sünder rechtfertigt, wird sein Glaube als Gerechtigkeit angerechnet werden.“ Und weil die Bewegung vielmehr bezeichnet wird gemäß dem Zielpunkte, auf den sie sich richtet, wie gemäß dem Ausgangspunkte; deshalb heißt eine derartige Veränderung vom Stande der Ungerechtigkeit in den der Gerechtigkeit „Gerechtmachung“ oder „Rechtfertigung“,
c) I. Jede Sünde ist eine Ungerechtigkeit Gott gegenüber, dem nicht gehorcht wird, nach 1. Joh. 3.: „Jeder, welcher Sünde thut, thut Unrecht zugleich; denn die Sünde ist Ungerechtigkeit.“ Die Entfernung jeder Sünde also ist Rechtfertigung. II. Glaube und Liebe besagen eine gewisse besondere Ordnung mit Rücksicht auf Gott; Ungerechtigkeit aber drückt die Unordnung des Geistes Gott gegenüber im allgemeinen aus. III. Die Berufung bezieht sich auf Gott, insoweit derselbe innerlich bewegt und den Anstoß giebt zum Verlassen der Sünde; und das ist nicht der Nachlaß der Sünde, sondern dessen Ursache.
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