Dritter Artikel. Der Mensch im Stande der Gnade kann streng rechtmäßig das ewige Leben verdienen; seine Akte können solchen Wert haben, daß ihnen das ewige Leben vollauf (ex condigno) gebührt.
a) Dies wird geleugnet. Denn: I. Röm. 8. heißt es: „Nicht wert sind die Leiden dieser Zeit der künftigen Herrlichkeit, welche in uns enthüllt werden wird.“ Die Leiden der Heiligen aber verdienen im höchsten Grade den Himmel. II. Augustin (de lib. arbitr. et grat. 9.) erklärt zu Röm. 6, 25.: „Er könnte mit Recht sagen: Die Löhnung der Gerechtigkeit ist das ewige Leben; er wollte jedoch lieber sagen: Gnade Gottes ist das ewige Leben, damit wir verstehen, Gott führe uns zum ewigen Leben kraft seiner Erbarmungen, nicht kraft unserer Werke.“ Was aber wert ist eines Preises, das erhält diesen Preis nicht aus Erbarmen. III. Um wert zu sein der ewigen Seligkeit, müßte der verdienstvolle Akt gleichwertig sein mit dem ewigen Leben, das unser Denken und Verlangen überragt. Ebenso aber überragt das ewige Leben die Liebe auf dem Pilgerwege, wie es überragt die Natur. Also. Auf der anderen Seite heißt es 2. Tim. 4.: „Im übrigen ist mir aufbewahrt die Krone der Gerechtigkeit, die mir als Vergeltung geben wird an jenem Tage der Herr als gerechter Richter.“ Das gilt aber nur von Werken, die gleichwertig sind der ewigen Seligkeit.
b) Ich antworte, wird 1. das gute Werk betrachtet gemäß der Substanz desselben als vom freien Willen ausgehend, so könne da keinerlei Gleichwertigkeit sein mit dem ewigen Leben; da herrscht vielmehr die größte Ungleichheit. Jedoch besteht nach dieser Seite hin eine gewisse Zukömmlichkeit (congruitas) auf Grund einer gewissen Gleichheit gemäß dem Verhältnisse. Denn das erscheint zukömmlich, daß, wenn der Mensch gemäß seiner Kraft wirkt, Gott ihn belohnt gemäß dem hervorragenden Werte der seinigen. Wird indes 2. das gute Werk betrachtet als hervorgehend aus der Gnade des heiligen Geistes, so ist da volle Gleichwertigkeit; das verdienstliche Werk hat nach dieser Seite hin den vollen Wert, welcher das ewige Leben verdient. Denn so ist dann der Wert des Verdienstes gemäß der Kraft des heiligen Geistes, der uns hinbewegt zum ewigen Leben, nach Joh. 4.: „In ihm wird ein Quell Wasser sein, der da emporspringt in das ewige Leben hinein.“ Denn in diesem Falle wird der Wert des Werkes beurteilt nach dem Werte der Gnade, kraft deren der Mensch als Teilnehmer an der göttlichen Natur zur Gotteskindschaft erhoben wird, welcher dem strengen Recht zufolge die Erbschaft gebührt, nach Röm. 8.: „Wenn Kinder, dann auch Erben.“
c) I. Der Apostel spricht von den Leiden der Heiligen gemäß deren Substanz, nicht insoweit sie von der Kraft des heiligen Geistes getragen werden. II. Die erste Ursache, um bei Gotl zu verdienen, ist das Erbarmen Gottes; die zweite, nachfolgende, selbst verursachte, unser Verdienst. III. Die Gnade des heiligen Geistes ist der Kraft nach gleichwertig mit dem ewigen Leben; wie etwa der Samen eines Baumes, in welchem Kraft ist für den ganzen Baum. Ähnlich wohnt in uns vermittelst der Gnade der heilige Geist, welcher genügende Ursache ist für das ewige Leben, so daß Er 2. Kor. 1. als „Pfand unseres Erbes“ bezeichnet wird.
