Vierter Artikel. Hauptsächlich kraft der heiligen Liebe ist die Gnade Ursache unseres Verdienstes.
a) Es scheint, die Liebe sei Princip für das gute Werk nicht mehr wie die anderen Tugenden. Denn: I. Das Werk wird belohnt, nach Matth. 20.: „Rufe die Arbeiter und entgelte ihnen ihren Lohn.“ Jede Tugend aber ist Princip von guten Werken. II. 1. Kor. 3. sagt Paulus: „Gemäß seiner Arbeit wird ein Jeder den eigens gebührenden Lohn empfangen.“ Die Liebe aber vermindert viel mehr die Mühe und Arbeit; denn „alles Schwierige macht leicht die Liebe.“ (Aug. de verd. Dom. serm. 9.) III. Im höchsten Grade verdienstvoll scheinen zu sein die Akte des Glaubens, der Geduld, der Stärke, wie wir bei den Märtyrern sehen. Also scheint solchen Tugenden auch am meisten der Lohn des ewigen Lebens zu entsprechen. Auf der anderen Seite spricht der Herr bei Joh. 14.: „Wenn jemand mich liebt, wird er geliebt werden von meinem Vater; und Ich werde ihn lieben und Mich ihm offenbaren.“ Das „ist aber eben das ewige Leben, daß sie Dich erkennen, den alleinigen wahren Gott und den Du gesandt hast, Jesum Christum;“ Joh. 17. Also auf der Liebe zumal beruht das Verdienst des ewigen Lebens.
b) Ich antworte, das erste Princip, um zu verdienen, sei für den verdienstvollen Akt die Anordnung der göttlichen Weisheit, wonach der Akt jenes Gut verdient, wozu der Mensch von Gott hingeordnet ist; das zweite Princip aber sei der freie Wille, wonach dem Menschen es eigen ist, daß er sich selbst bestimmt. Und mit Rücksicht auf Beides beruht das Verdienst auf der heiligen Liebe. Denn mit Rücksicht auf Gott besteht das ewige Leben im Genießen der Seligkeit, nämlich Gottes selbst. Die Thätigkeit des menschlichen Geistes aber zum Genießen des göttlichen Gutes ist eigens die Thätigkeit der heiligen Liebe, wodurch alle anderen Thätigkeiten der verschiedenen Vermögen gerichtet werden auf diesen Zweck, und wonach die anderen Tugenden geordnet sind kraft der Liebe. Das Verdienst des ewigen Lebens also gehört zuvörderst der heiligen Liebe an und dann den anderen Tugenden an zweiter Stelle, soweit deren Akte abhängen von der Liebe. Ähnlicherweise ist es offenbar, daß, was wir aus Liebe thun, wir im höchsten Grade gern, also äußerst freiwillig thun. Also auch nach der Seite des freien Willens hin beruht das Verdienst hauptsächlich auf der Liebe.
c) I. Die heilige Liebe hat den letzten Endzweck zum Gegenstande und somit setzt sie danach in Thätigkeit die anderen Tugenden. Denn der Zustand, welcher sich auf den Zweck richtet, befiehlt den Zuständen, die sich auf das rein Zweckdienliche richten. II. Ein Werk kann schwierig sein entweder dem Umfange nach; und so vermehrt die Größe der Arbeit das Verdienst; danach aber vermindert die heilige Liebe nicht die Arbeit, vielmehr läßt sie in Angriff nehmen die größten Werke: „Großes thut sie, wenn sie da ist,“ sagt Gregor (hom. 30. in Evgl.); — oder ein Werk kann schwierig sein, weil man es nicht gern thut; und solche Schwierigkeit vermindert das Verdienst und sie wird gehoben durch die Liebe. III. Die Akte des Glaubens, der Geduld etc. sind nicht verdienstvoll, wenn sie nicht von der heiligen Liebe getragen werden, nach I. Kor. 13.: „Wenn ich meinen Leib dahingebe, so daß er brenne, habe aber die Liebe nicht, so nützt dies mir nichts.“
