Fünfter Artikel. Die Hoffnung ist eine theologische Tugend.
a) Dies wird bestritten. Denn: I. Die Hoffnung hat nicht Gott allein zum Gegenstande, wie dies eine jede theologische Tugend haben muß. II. Eine theologische Tugend liegt nicht in der Mitte zwischen zwei Lastern; wie dies bei der Hoffnung der Fall ist, die in der Mitte liegt zwischen Verzweiflung und freventlichem Vornehmen oder Vermessenheit. III. Die Hoffnung ist ein gewisses Warten; die Langmut aber gehört zur Stärke also zu einer moralischen Tugend. IV. Das Schwierige ist Gegenstand der Hoffnung; dies ist aber Sache der Hochherzigkeit. Also ist die Hoffnung keine theologische, sondern eine moralische Tugend. Auf der anderen Seite wird 1. Kor. 13. die Hoffnung neben dem Glauben und der Liebe genannt.
b) Ich antworte, man müsse hier untersuchen, von woher die Hoffnung das unterscheidende Wesensmerkmal einer Tugend hat; um zu entscheiden, ob sie eine theologische Tugend sei. Oben ist aber gesagt worden, daß die Hoffnung von da her den unterscheidenden Wesenscharakter einer Tugend besitzt, daß sie die oberste Richtschnur der menschlichen Thätigkeiten berührt; und zwar berührt sie dieselbe sowohl als den letzten Zweckgrund, denn in ihr sucht sie die schließliche Seligkeit, als auch wie die ersteinwirkende Ursache, denn aus den Beistand Gottes verläßt sie sich. Also ist der hauptsächliche leitende Gegenstand der Hoffnung Gott selber. Und weil nun darin der Wesenscharakter einer theologischen Tugend besteht, daß sie Gott zum Gegenstande hat; deshalb ist offenbar die Hoffnung eine theologische Tugend.
c) 1. Was auch immer für andere Güter die Hoffnung berücksichtigt, sie berücksichtigt dieselben nur unter Beziehung derselben auf Gott. II. Die Mitte einer Tugend besteht darin, daß die Richtschnur und Regel berührt wird. Geht sie über diese Regel hinaus, so ist ein Übermaß da; erreicht sie dieselbe nicht, so existiert etwas Minderes, ein Mangel. In der Regel oder Richtschnur selbst aber giebt es weder eine richtige Mitte noch ein Mehr oder Minder. Die Moraltugend nun beschäftigt sich wie mit ihrem eigens entsprechenden Gegenstande mit dem, was durch die menschliche Vernunft geregelt wird; — und somit kommt es dem inneren Wesen nach ihr zu, daß ihr Gegenstand gemessen und geregelt wird durch die menschliche Vernunft. Die theologische Tugend aber beschäftigt sich wie mit ihrem Gegenstande mit der ersten Regel und Richtschnur selber, die keine andere abmessende Richtschnur mehr über sich hat; — und so kommt es der theologischen Tugend ihrem Wesen nach nicht zu, daß ihr Gegenstand noch des weiteren bemessen und geregelt wird, um die richtige Mitte zu sein. Dies kann ihr jedoch zukommen auf Grund äußerlicher Umstände, nämlich mit Rücksicht auf das, was zu diesem ihrem Hauptgegenstande hingeordnet wird. So kann auch der Glaube seinem wesentlichen Gegenstande nach keine rechte Mitte anerkennen; denn niemand kann zu viel der ersten Wahrheit anhängen; — wohl aber kann für ihn ein „Zu viel“ oder ein „Zu wenig“ gefunden werden von seiten dessen, was geglaubt wird, wie das eine Wahre die Mitte einhält zwischen einem zweifachen Falschen; die Wahrheit z. B. daß Christus Gottmensch ist zwischen dem Falschen, daß Er bloß Mensch ist und dem anderen Falschen, daß Er nur Gott und nicht Mensch ist. Ähnlich nun hat die Hoffnung keine richtige Mitte von seiten ihres Hauptgegenstandes; denn niemand kann sich zu viel auf den göttlichen Beistand verlassen; — mit Rücksicht aber auf das, was sie erhofft zu erlangen, kann da ein „Zu viel“ oder ein „Zu wenig“ bestehen, insoweit jemand freventlich sich vornimmt das, was zu ihm in keinem Verhältnisse steht; oder verzweifelt an dem, was zu ihm im gebührenden Verhältnisse steht. III. Das Erwarten bei der Hoffnung schließt nicht Langmut ein, wie die Stärke sie einschließt; sondern bedeutet nur die Beziehung zum göttlichen Beistande, sei es daß das was man hofft verschoben wird oder nicht. IV. Die Hochherzigkeit strebt nach Schwierigem, was aber in ihrer Gewalt steht; weshalb sie auf das Wirken von Hohem und Großem sich richtet. Die Hoffnung aber als theologische Tugend will das Schwierige kraft des Beistandes eines anderen erreichen.
