Achter Artikel. Die Hoffnung geht der Liebe vorher.
a) Die Liebe ist früher als die Hoffnung. Denn: I. Zu Luk. 17. (Si habueriitis fidem) sagt Ambrosius: „Vom Glauben kommt die Liebe, von der Liebe die Hoffnung.“ II. Augustin schreibt (de civ. Dei 14, 9.): „Gute Bewegungen und Hinneigungen kommen von der heiligen Liebe.“ Hoffen aber ist eine gewisse Bewegung der Seele. III. 26. dist. 3. lib. Sentent. heißt es, die Hoffnung rührte von Verdiensten her, die nicht allein dem gehofften Gegenstande, sondern auch der Hoffnung vorausgehen, da von Natur die Liebe die Voraussetzung der Hoffnung bilde. Auf der anderen Seite sagt Paulus (1. Tim. 1.): „Der Zweck des Gesetzes ist die Liebe, die ausgeht vom reinen Herzen und guten Gewissen“ d. i. von der Hoffnung, sagt die Glosse.
b) Ich antworte, daß es eine doppelte Ordnung gebe: die des Entstehens oder des Erzeugens und die der Natur oder der Vollendung. Nach der erstgenannten geht das Unvollkommene dem Vollendeten vorher; und danach ist die Hoffnung früher als die Liebe. Das erhellt, wenn man berücksichtigt, daß die Bewegung des Begehrens von der Liebe sich ableitet, wie oben bei Behandlung der Leidenschaften erklärt worden. (I., II. Kap. 55, Art. 1 und 2.) Eine gewisse Liebe nun ist vollkommen; und eine gewisse andere Liebe unvollkommen. Vollkommen ist die Liebe, wenn jemand wegen seiner selbst geliebt wird, wie der Freund um des Freundes willen ihm Gutes will. Unvollkommen ist die Liebe, wenn jemand einen anderen liebt, damit ihm selber, dem liebenden, etwas Gutes zu teil werde; wie der Mensch eine Sache liebt, die er begehrt. Die erste Art Liebe nun gehört der heiligen Liebe an, die Gott um Gottes selber willen anhängt. Die Hoffnung aber gehört zur zweiten Art Liebe; denn jener, der da hofft, will ein Gut für sich selbst erreichen. Deshalb also ist in der Ordnung des Entstehens die Hoffnung früher als die heilige Liebe. Denn wie jemand zur Liebe Gottes eingeführt wird dadurch daß er aus Furcht vor Strafe zu sündigen aufhört; — so auch führt die Hoffnung zur Liebe Gottes dadurch daß jemand auf Belohnung hofft. Gemäß der Ordnung der Natur oder der Vollendung aber ist die heilige Liebe ihrer Natur oder Wesenheit nach früher als die Hoffnung. Tritt also die Liebe in die Seele, so wird die Hoffnung stärker; denn eben auf Grund der Freunde hoffen wir am meisten. Und danach spricht oben Ambrosius in:
c) I. II. Die Hoffnung sowie jede Bewegung des Begehrens rührt von irgend einer Liebe her, kraft deren nämlich jemand liebt das erwartete Gut. Nicht aber jegliche Hoffnung kommt von der Liebe, sondern einzig die Bewegung der „geformten“ Hoffnung, wodurch man nämlich ein Gut von Gott zu erreichen hofft wie von einem Freunde. III. Dieser in Liebe „geformten“ oder vollendeten Hoffnung geht der Natur nach die heilige Liebe vorher und ebenso die Verdienste, welche die Liebe hervorbringt.
