Zweiter Artikel. Verbrecher können getötet werden.
Es ist dies nicht erlaubt. Denn: I. Matth. 13. verbietet in der Parabel der Herr, daß das Unkraut, d. h. die Sünder, ausgerissen werde. II. Die göttliche Gerechtigkeit, das erste Vorbild der unsrigen, behält die Sünder zur Buße auf, nach Ezechiel 18.: „Ich will nicht den Tod des Sünders, sondern daß er sich bekehre und lebe.“ III. Einen Menschen töten ist an und aus sich etwas Schlechtes. Denn alle Menschen sollen wir lieben; wir wollen aber, daß Freunde leben und seien. Was an sich schlecht ist, darf jedoch niemals geschehen, (Aug. cont. mendac. 7.) Also darf man nie einen Menschen töten. Auf der anderen Seite heißt es Exod. 22.: „Verbrecher sollst du nicht leben lassen.“
b) Ich antworte, Tiere zu töten sei erlaubt, weil sie von Natur für den Gebrauch des Menschen da sind, wie das Unvollkommene dem Vollkommenen dient. Jeder Teil nun dient dem Ganzen wie Unvollkommenes dem Vollkommenen und somit ist von Natur aus jeglicher Teil wegen des Ganzen da. Steht deshalb z. B. dem Ganzen des menschlichen Körpers, respektive der Gesundheit desselben, ein faules und für die übrigen Glieder verderbliches Glied entgegen, so wird letzteres heilsamer- und lobenswerterweise abgeschnitten. Da nun jede einzelne Person zum Gemeinwesen im Verhältnisse steht wie der Teil zum Ganzen, so wird lobenswerter- und heilsamerweise ein einzelner für das Gemeinwesen verderblicher Mensch getötet, damit das Ganze unversehrt bestehen bleibe: „Wenig Sauerteig verdirbt die ganze Masse,“ heißt es 1. Kor. 5.
c) I. Das Unkraut sollte nicht zusammen mit dem guten Weizen ausgerissen werden. Wenn also die Verbrecher nicht getötet werden können, ohne daß zugleich Gute getötet werden, sei es daß sie unter den Guten verborgen sind oder viele Anhänger haben, so daß den Guten Gefahr droht, wenn man sie tötet, so soll man davon abstehen. (Aug. ad Parmenian. lib. 3, cap. 2.) Besser ist es danach, die Bösen am Leben zu lassen und die Strafe dem jüngsten Tage aufzubewahren, als daß die Guten mitgetötet werden. Fordert aber vielmehr das Heil und der Schutz der Guten, ohne daß für sie Gefahr erwüchse, die Tötung der Verbrecher, so soll man sie töten. II. Bisweilen straft Gott die Sünder sogleich mit dem Tode, damit die Guten befreit werden; bisweilen läßt Er ihnen Zeit zur Buße; immer so, wie dies Alles seinen Auserwählten dient. Und so thut auch möglichst die menschliche Gerechtigkeit. Denn die für andere verderblichen und gefährlichen tötet sie; die aber Sünde thun, ohne daß sie anderen schwer schaden, behält sie zur Buße auf. III. Durch die Sünde weicht der Mensch von der Ordnung der Vernunft ab; und fällt so ab von der menschlichen Würde, welcher gemäß er von Natur frei und selber Zweck seiner Handlungen ist. Er wird dadurch Knecht wie die Tiere, daß über ihn angeordnet werde, soweit dies anderen nützlich ist; nach Ps. 48: „Da der Mensch in Ehren war, hat er es nicht verstanden; den unvernünftigen Tieren ist er gleich geworden und ähnlich ward er ihnen;“ und Prov. 11.: „Der da ein Thor ist, wird dienen dem Weisen.“ Obgleich es deshalb an und für sich ein Übel ist, jenen Menfchen zu töten, der da in der von Natur ihm gewordenen Würde verbleibt, so kann es doch etwas Gutes sein, einen Verbrecher zu töten; wie es etwas Gutes ist, ein Tier zu töten. Denn „schlimmer ist ein schlechter Mensch wie ein Tier und mehr Schaden verursacht er,“ nach Aristoteles 1. Polit. 2.
