Erster Artikel. Das Fasten ist ein Tugendakt.
a) Dies scheint nicht. Denn: I. Der Tugendakt ist Gott immer angenehm, nicht aber das Fasten; nach Isai. 58.: „Warum haben wir gefastet und du hast es nicht beachtet?“ II. Das Fasten folgt nicht der rechten Mitte. Denn bei der Abstinenz wird diese dahin bestimmt, damit man den Bedürfnissen der Natur zu Hilfe komme. Durch das Fasten aber wird von diesen Bedürfnissen etwas abgezogen. III. Fasten kommt den guten und bösen zu; also ist es kein Tugendakt. Auf der anderen Seite zählt unter anderen Tugendakten Paulus 2. Kor. 6. das Fasten auf.
b) Ich antworte, ein Akt werde dadurch tugendhaft, daß er durch die gesunde Vernunft auf ein ehrbares Gut als zu seinem Zwecke hingelenkt werde. Das Fasten aber verfolgt einen dreifachen vernunftgemäßen Zweck: 1. Es drückt die Begierden des Fleisches nieder, wonach der Apostel l. c. sagt: „In Fasten, in Keuschheit,“ um zu sagen, daß Fasten förderlich sei der Keuschheit; und Hieronymus (2 cont. Jovin. 6.): „Ohne Ceres und Bachus bleibt die Venus kalt,“ d. h. durch das Enthalten von Speise und Trank wird matt die Wollust; — 2. es trägt dazu bei, daß der Geist sich zu göttlichen Dingen erhebe, weshalb Dan. 10. gesagt wird, nach einem Fasten von drei Wochen hätte Daniel von Gott eine Offenbarung erhalten; — 3. es dient zur Buße für die Sünden, weshalb es Joël 2. heißt: „Bekehret euch zu mir in euerem ganzen Herzen, in Fasten, in Weinen und Wehklagen.“ Augustin faßt dies (serm. 220.) zusammen: „Das Fasten reinigt die Seele, erhebt den Geist, unterwirft das Fleisch dem Geiste, macht das Herz demütig und zerknirscht, zerstreut die Nebel der Begierden, löscht aus die Flammen der Wollust, zündet an das Licht der Keuschheit.“
c) I. Ein in seiner „Art“ tugendhafter Akt kann auf Grund von hinzutretenden Umständen ein sündhafter werden; wie l. c. gefagt wird: „In euerem Fasten wird euer Wille gefunden…, ihr fastet aus Streit- und Zanksucht,“ wozu Gregor bemerkt (past. 3, 20.): „Vergebens wird das Fleisch durch Fasten gequält, wenn durch ungeregelte Leidenschaften die Seele zerrüttet wird;“ und Augustin erklärt (l. c.): „Das Fasten sucht nicht das viele Sprechen auf; es urteilt, daß Reichtum überflüssig sei; es verachtet den Hochmut, empfiehlt die Demut, verleiht dem Menschen, es zu verstehen, wie er gebrechlich und ohnmächtig sei.“ II. Die rechte Mitte muß gemäß der gesunden Vernunft erwogen werden. Die Vernunft aber urteilt, es sei zukömmlich, daß aus einem besonderen Grunde der Mensch weniger Speise zu sich nehme, wie ihm nach den gewöhnlichen Verhältnissen gebühre; wie z. B. wegen der Vermeidung einer Krankheit oder um körperliche Arbeiten leichter und schneller zu vollbringen. Und das empfiehlt ebenso die Vernunft, um geistige Übel zu vermeiden und geistige Güter zu erreichen. Jedoch erlaubt die gesunde Vernunft nicht, so viel Speise sich zu entziehen, daß die Natur nicht mehr aufrecht gehalten werden könnte, mit Bezug worauf Hieronymus bemerkt: „Darauf kommt es nicht an, ob du in längerer Zeit oder in kürzerer dich tötest; denn von etwas Geraubtem bringt jener Opfergaben dar, der durch allzu großes Enthalten von Speisen oder durch zu zahlreiche Nachtwachen maßlos seinen Körper peinigt.“ Ebenso erlaubt die gesunde Vernunft nicht, sich so viel an Speise zu entziehen, daß man für seine standesmäßigen Arbeiten untauglich wird, weshalb es I. c. heißt: „Der vernünftige Mensch verliert seine Würde, wenn er das Fasten vorzieht der Liebe, oder Nachtwachen seinen gesunden Sinnen.“ III. Nur jenes Fasten ist Tugendakt, wobei jemand aus einer vernünftigen Ursache sich in etwa der Speise enthält.
