Fünfter Artikel. Die Zeiten, für welche die Kirche zu fasten vorschreibt, sind zulässigerweise bestimmt.
a) Das scheint nicht. Denn: I. Christus (Matth. 4.) hat sogleich nach seiner Taufe zu fasten begonnen. Also müssen wir, um „Christum nachzuahmen“ (1. Kor. 4.) gleich nach Dreikönigen anfangen, zu fasten; denn da feiert man die Taufe Christi im Jordan. II. Die Ceremonialvorschriften sollen im Neuen Bunde nicht mehr beobachtet werden. Fasten aber in bestimmten Monaten, nach Zachar. 8.: „Das Fasten im vierten, fünften, siebenten und zehnten Monate soll dem Hause Juda eine Freude und ein Frohlocken und eine heilige Feierlichkeit sein“ war im Alten Bunde eine Ceremonialvorschrift. Also durften von der Kirche keine Fasten für bestimmte Monate, wie die Quatemberfasten, Vorgeschrieben werden. III. „Wie es ein Fasten aus Betrübnis giebt, so giebt es auch ein Fasten aus Freude und Jubel,“ sagt Augustin. (2. de cons. Evang. 27.) Also am Ostersonntage und an Sonntagen, wo man sich der Auferstehung des Herrn erinnert, sollte man Fasten vorschreiben. Auf der anderen Seite steht der Gebrauch in der Kirche.
b) Ich antworte, das Fasten diene der Tilgung der Sünden und der Erhebung des Geistes zu göttlichen Dingen. Für jene Zeiten also waren insbesondere Fasten anzusetzen, in denen die Gläubigen ihre Seele von Sünden reinigen und zu Geistigem erheben sollten. Das hat aber statt zumal vor Ostern, insofern am Ostersamstage die Taufe als Abwäschen der Sündenschuld feierlich gespendet wird zur Erinnerung an die Ruhe des Herrn im Grabe, „mit Christo nämlich sind wir begraben durch die Taufe im Tode“; und insofern am Osterfeste am meisten die Seele des Menschen sich zu Geistigem erheben muß, zur Betrachtung der ewigen Herrlichkeit nämlich, welche Christus durch seine Auferstehung für uns angefangen hat. Deshalb hat die Kirche die Fasten vor Ostern vorgeschrieben; und aus demselben Grunde die Fasten an den Tagen vor den großen Festen des Jahres, in denen wir uns vorbereiten sollen für die feierliche Begehung der himmlischen Festlichkeit. Der Gebrauch der Kirche bringt es zudem mit sich, daß man viermal im Jahre fastet; nämlich zu den Zeiten, wo die heiligen Weihen den Dienern der Kirche gespendet werden. Für dieselben sollen durch Fasten sich vorbereiten sowohl jene welche weihen, als auch jene die geweiht werden, wie das ganze christliche Volk, zu dessen Nutzen die Diener der Kirche die Weihe erhalten. Deshalb steht bei Luk. 6., daß der Herr vor der Auswahl seiner Apostel „ausging, um auf dem Berge zu beten.“ Dazu bemerkt Ambrosius: „,Was sollst also du thun, wenn du eine Pflicht der Frömmigkeit zu erfüllen dich anschickst, wenn Christus, als Er die Apostel senden wollte, vorher betete.“ Was die Zahl der Fasttage betrifft, so wird für die Zahl vierzig der Fasttage vor Ostern ein dreifacher Grund von Gregor angegeben (16. hom. in Evgl.): „Denn die Kraft der zehn Gebote wird nun eine durchaus vollendete durch die vier Bücher des heiligen Evangeliums; die Zehnzahl nämlich, mit vier vervielfacht ergiebt vierzig. Oder wir bestehen in diesem sterblichen Leibe aus den vier Elementen und wegen der sinnlichen Ergötzlichkeiten sündigen wir gegen die zehn Gebote; also ist es zukömmlich, daß wir diesen Körper durch vierzig Tage betrüben. Oder wie im Alten Bunde es geboten war, den Zehnten der Früchte darzubringen, so sollen wir den Zehnten der Tage im Jahre Gott darbringen; denn da dreihundert sechsundsechzig Tage das Jahr zählt, so fasten wir durch sechsunddreißig Tage (vom ersten Sonntage Quadragesimä an).“ Augustin giebt noch einen vierten Grund an: „Denn der Schöpfer ist die Dreiheit: der Vater, der Sohn und der heilige Geist; der unsichtbaren Kreatur aber gebührt die Dreizahl, da uns geboten wird, Gott zu lieben aus ganzem Herzen, aus ganzer Seele und aus ganzem Geiste; während der sichtbaren Kreatur, die aus dem Warmen und Kalten, Feuchten und Trockenen zusammengesetzt ist, die Vierzahl entspricht. So also ist in der Zehnzahl alles Sein einbegriffen. Wird diese mit vier vervielfacht, d. h. mit der Vierzahl, die dem sichtbaren Körper entspricht, dem Werkzeuge all unseres Thuns, so haben wir die Vierzigzahl.“ Drei Tage aber sind für die Quatemberfasten vorgeschrieben nach der Zahl der je verflossenen Monate oder wegen der drei höheren Weihen, welche in dieser Zeit gespendet werden.
c) I. Christus hat der Taufe nicht wegen Seiner selbst bedurft, sondern um unsertwillen, um sie uns zu empfehlen. Ihm also gebührte es nicht, vor der Taufe zu fasten und so etwa sich vorzubereiten; sondern nach der Taufe that Er es, damit Er uns dadurch einlüde, es vor der Taufe zu thun. II. Weder die Monate sind bei den Quatembertagen die gleichen bei den Juden noch die Ursachen. Denn diese fasteten im Juli, da ihr Jahr anfing mit dem April; zu der Zeit nämlich, als (Exod. 32.) Moses vom Berge gestiegen war und die Gesetzestafeln zerbrochen hatte und wo nach Jerem. 39. zuerst die Mauern der Stadt eingebrochen sind; — dann im August, als wegen der Kundschafter (Num. 14.) ein Aufstand im Volke ausgebrochen war, infolgedessen es ihnen verboten wurde, auf den Berg zu steigen, und wo (im nämlichen Monate immer) nach Jerem. 52. Nabuchodonosor und später Titus den Tempel zu Jerusalem angezündet hatte; — ferner im Oktober, wo Godolias getötet und der Rest des Volkes zerstreut wurde (Jerem. 51.); — endlich im Januar, da Ezechiel mit dem Volke in der Gefangenschaft während dieses Monats hörte, der Tempel sei zerstört. (Ezech. 4.) III. Das Fasten des Frohlockens und Jubelns giebt der heilige Geist ein; es fällt deshalb unter kein Gebot. Die Fasten der Kirche sind vielmehr Fasten der Trauer, welche den Festtagen nicht zukommen. Deshalb ist in der ganzen Osterzeit kein Fasten und ebensowenig an Sonntagen. „Wenn jemand in solchen Zeiten gegen den Gebrauch des christlichen Volkes (Aug. ep. 36.), welcher als Gesetz gilt, oder aus Irrtum (wie die Manichäer, die ein solches Fasten für notwendig halten) fasten wollte, so würde er sündigen; mag auch das Fasten an und für sich, wie Hieronymus an Lucinius (ep. 28.) schreibt, zu jeder Zeit wünschenswert sein.“
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