Zweiter Artikel. Das Fasten ist ein Akt der Abstinenz.
a) Dies scheint nicht. Denn: I. Beda sagt zu Matth. 17. Hoc genus daemoniorum (3 Comm. 8): „Fasten soll man nicht allein mit Rücksicht auf die Speise; sondern aller Lockungen soll man sich enthalten.“ Also gehört Fasten zu allen Tugenden. II. Gregor (16. in Evgl.) sagt: „Das vierzigtägige Fasten ist der Zehnte des ganzen Jahres.“ Den Zehnten geben aber ist ein Akt der Gottesverehrung. III Die Abstinenz ist ein Teil der Mäßigkeit. Belästigungen ertragen aber, wie z. B. die des Fastens, gehört der Stärke an. Also ist Fasten kein Akt der Abstinenz. Auf der anderen Seite sagt Isidor (6 Etymol. I8.): „Fasten ist Sparsamkeit in den Lebensbedürfnissen und Abstinenz von Speisen.“
b) Ich antworte, das Fasten erstrecke sich auf die Speisen. Im Gebrauche der Speisen aber speciell findet die rechte Mitte eben die Abstinenz. Also gehört das Fasten zur Abstinenz als deren specieller Akt.
c) I. In übertragener Weise spricht man vom Fasten im Sündigen. Zudem hört auch das eigentliche Fasten auf, ein Tugendakt zu sein, wenn man Lockungen anderer Sünden nachgiebt. (Art. 1 ad I.) II. Der Akt einer Tugend kann seinen Zweck haben in einer anderen Tugend. (I., II. Kap. 18, Art. 7.) Und danach kann das Fasten der Tugend der Gottesverehrung oder Religion und anderen Tugenden dienen. III. Sache der Stärke ist es, nicht beliebige Belästigungen, sondern Todesgefahren auszuhalten. Die Belästigungen, welche aus dem Mangel an Ergötzlichkeiten des Tastsinnes kommen, erträgt die Mäßigkeit und deren Teile.
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