Fünfter Artikel. Die Gaumenlust ist eine Hauptsünde.
a) Dies wird bestritten. Denn: I. Hauptsünden werden solche Sünden genannt, von denen andere ausgehen wie vom Zweckgrunde. Die Speise aber, der Gegenstand der Gaumenlust, trägt nicht den Charakter des Zweckes; sie ist dem ganzen Wesen nach nur zweckdienlich, nämlich für die Nahrung des Körpers. II. Anstatt daß sie eine hauptsächliche Stelle einnähme unter den Sünden ist die Gaumenlust ihrer „Art“ nach eine sehr geringe Sünde, denn sie steht in nächster Nähe dem, was der Natur entspricht. III. Man sündigt, wenn man von etwas Ehrbarem abweicht um eines Nutzens oder eines Ergötzens willen. Mit Rücksicht auf das Nützliche aber besteht nur eine Hauptsünde: der Geiz. Also darf auch mit Rücksicht auf das Ergötzliche nur eine Hauptsünde bestehen; und das ist die Wollust, welche auf größere Ergötzungen wie solche an Speisen sich finden, hinweist. Auf der anderen Seite zählt Gregor (31. moral. 17.) die Gaumenlust zu den Hauptsünden.
b) Ich antworte, Hauptsünde wird eine Sünde genannt, weil sie auf einen sehr begehrten Zweck sich richtet und somit aus ihr mit Rücksicht auf diesen Zweck andere Sünden folgen. Aus dem ihr entsprechenden Begehren werden dann die Menschen zu vielen anderen Sünden verleitet. Ein Zweck aber wird im höchsten Grade begehrbar, wenn er eine Eigenschaft gemein hat mit der Glückseligkeit. Nun gehört zur Glückseligkeit das Ergötzen. Also ist die Gaumenlust, die zum Gegenstande hat die Ergötzungen des Tastsinnes, d. h. die vornehmsten unter allen, eine Hauptsünde.
c) I. Die Speise hat zwar zum Zwecke die Erhaltung des Lebens. Aber dieser Zweck selber, der ohne Speise nicht erreicht werden kann, trägt den Charakter des viel Begehrbaren; und daher kommt es, daß die Speise selbst viel begehrt wird und daß dahin fast die ganze Mühe des menschlichen Lebens sich richtet. Deshalb heißt es Ekkle. 6.: „Alle Mühe des Menschen in seinem Munde.“ In höherem Grade aber noch scheint Gegenstand der Gaumenlust zu sein: nicht die Speise an sich sondern das Ergötzen daran, wie Augustin sagt (de vera Rel. 35.): „Denen das Wohl des Körpers nicht viel gilt, die ziehen vor zu essen (d. h. das Ergötzen) anstatt sich zu sättigen; da der ganze Zweck dieses Vergnügens ist, nicht zu hungern und zu dürsten.“ II. Der Zweck in einer Sünde wird genommen von dem Gute, welchem man sich zuwendet; die Schwere einer Sünde kommt von der Seite der Abkehr von Gott. Also ist dies nicht notwendig miteinander verbunden: ein im höchsten Grade begehrenswerter Zweck und die Schwere im höchsten Grade. III. Das Ergötzliche ist um seiner selbst willen erstrebenswert; und deshalb bestehen da gemäß der Verschiedenheit im Wesen des Ergötzlichen zwei Hauptsünden: die Gaumenlust und Wollust. Nützlich aber ist etwas nur kraft seiner Beziehung auf den Zweck, dem es dient; also ist da nur immer ein und derselbe Gesichtspunkt des Begehrenswerten. Deshalb ist da nur eine Hauptsünde.
