Vierter Artikel. Ein Bischof kann auf die bischöfliche Seelsorge verzichten, um in den Ordensstand zu treten.
a) Dem gegenüber wird geltend gemacht: I. Es darf niemand aus einem vollkommeneren Stande austreten, um in einen minder vollkommenen zu treten. Denn „niemand, der die Hand an den Pflug legt und zurücksieht, ist für das Himmelreich geeignet.“ (Luk. 9.) Der bischöfliche Stand aber ist vollkommener wie der Ordensstand. Also darf niemand den bischöflichen Stand um des Ordensstandes willen verlassen. II. Die Ordnung im Bereiche der Gnade ist geregelter wie die der Natur. Gemäß der Natur aber ist keinem Dinge es eigen, zum Entgegengesetzten hin in Bewegung sein zu können; wie z. B. der Stein, welcher ja gemäß seiner Natur nach unten fällt, nicht gemäß dieser selben Natur zur Höhe hin in Bewegung ist. Nun ist es aber nach der Ordnung der Gnade erlaubt, vom Ordensstande in den bischöflichen Stand zu treten. Also ist das Entgegengesetzte nicht erlaubt. III. Nichts Müßiges darf in den Werken der Gnade sich finden. Wer aber einmal die Bischofsweihe empfangen hat, behält die entsprechenden Weihevollmachten, die müßig daliegen würden, wenn er in den Ordensstand träte. Also. Auf der anderen Seite wird keiner zu dem gezwungen, was an sich unerlaubt ist. Der aber darum bittet, der bischöflichen Sorgen enthoben zu werden, wird manchmal zu dieser Verzichtleistung gezwungen, nach Extravag. de Renunt. cap. Quidam. Also ist es nicht unerlaubt, die bischöfliche Stellung zu verlassen.
b) Ich antworte, die bischöfliche Vollkommenheit bestehe in der Verpflichtung, aus Liebe zu Gott für das Heil der Mitmenschen zu sorgen. So lange also ist jemand verpflichtet, die bischöflichen Sorgen zu behalten, als er dem Heile der Mitmenschen nützlich sein kann. Diese Sorge darf der Bischof nicht beiseitelassen wegen der heiligen Muße göttlicher Betrachtung, nach Phil. 1.: „Siehe, was ich erwählen soll, weiß ich nicht; denn von zwei Seiten werde ich in die Enge getrieben. Einerseits nämlich habe ich das Verlangen, aufgelöst zu werden und mit Christo zu sein, und dies ist das bei weitem Bessere; im Fleische aber zu verbleiben, ist notwendig wegen euch; und das vertraue ich und weiß ich, daß ich bleiben werde.“ Also trug der Apostel es geduldig, daß für ihn die selige Anschauung verschoben würde, weil die ihm untergebenen seiner bedurften. Auch darf der Bischof sich der bischöflichen Sorge nicht entziehen, um was immer für Übel zu meiden; denn „ein guter Hirt setzt sein Leben ein für seine Schafe.“ Bisweilen aber wird der Bischof gehindert, für das Heil der Mitmenschen zu sorgen; 1. wegen seiner eigenen Fehler und zwar
a) wegen seiner Fehler in der Seele, wie wenn er Mörder ist oder simonistisch;
b) am Körper, wie wenn er alt ist oder krank;
c) in der Wissenschaft, wenn er nicht das Notwendige für die Leitung der Seelen weiß;
d) wegen Irregularität. Bisweilen wird er 2. gehindert in der Sorge für seine Herde durch die Mängel in den untergebenen, wegen deren er nichts nützen kann. Deshalb sagt Gregor (2. dial. 2.): „Da müssen die bösen mit Gleichmut ertragen werden, wo einige gute sich finden, denen man nützen kann. Wo aber eine Frucht bei den guten in keiner Weise sich herausstellt, da erscheint Mühe und Arbeit, die man um der bösen willen hat, als überflüssig. Oft also erwägen die vollkommenen in ihrem Herzen, wenn sie sehen, daß ihre Arbeit ohne Frucht ist, ob sie nicht an einen anderen Ort sich begeben sollen, damit dort ihre Arbeit Frucht bringe.“ Bisweilen aber sind Bischöfe in ihrem Eifer für das Seelenheil der Nächsten 3. gehindert durch Rücksichten auf andere Personen; wie wenn auf Grund der Vorsteherschaft einer Person Ärgernis entsteht. Denn „wenn,“ nach 1. Kor. 8. „die Speise meinem Bruder Ärgernis giebt, so will ich lieber in Ewigkeit kein Fleisch essen.“ Freilich wird dabei vorausgesetzt, daß das betreffende Ärgernis nicht in der Bosheit einzelner seinen Grund habe, welche den heiligen Glauben oder die kirchliche Gerechtigkeit mit Füßen treten wollen. Denn eines solchen Ärgernisses halber ist auf die Hirtensorge nicht zu verzichten, nach Matth. 15.: „Lasset sie,“ jene nämlich, die Ärgernis nahmen an der Wahrheit der Lehre Christi; „blind sind sie und Führer von blinden.“ Jedoch ist es in jedem Falle erfordert, daß, sowie die Hirtensorge jemand kraft der Autorität eines höheren Vorgesetzten übernommen hat, er auch nicht auf selbige verzichte, ohne diese selbe Autorität in Anspruch zu nehmen. Deshalb heißt es extrav. de Renunt. cap. nisi cum pridem von seiten Innocenz III.: „Wenn du auch Flügel hast, mit denen du danach strebst, in die Einöde zu fliehen; dieselben sind jedoch so verknüpft mit den Geboten, daß dir ohne unsere Einwilligung es nicht freisteht, von dannen zu fliegen.“ Denn dem Papste allein ist es überlassen, von beständigen Gelübden zu dispensieren, womit einer sich bei Übernahme der bischöflichen Würde zur Sorge für die untergebenen verpflichtet.
c) I. Die Vollkommenheit des Ordensstandes unterliegt einem anderen Maßstabe wie die des bischöflichen. Denn zum Ordensstande gehört es, für das eigene Heil zu sorgen; zur Vollkommenheit der bischöflichen Würde aber gehört es, für das Heil der Seelen anderer zu sorgen. Wer also dem Nächsten noch nützlich sein kann, würde „zurückschauen“, wenn er in den Ordensstand einträte, nachdem er sich feierlich verpflichtet hat, daß er nicht nur für sein eigenes Seelenheil, sondern auch für das anderer Sorge trage Danach schreibt Innocenz III. (l. c.): „Mit größerer Leichtigkeit wird erlaubt, daß ein Ordensmann Bischof werde als daß ein Bischof in dei Ordensstand trete.“ II. Kein Hindernis darf den Menschen abhalten, für sein eigenes Seelenheil zu arbeiten. Es kann aber wohl ein Hindernis eintreten für die Sorge um das Seelenheil der anderen. Also kann ein Ordensmann wohl zur bischöflichen Würde erkoren werden; denn auch mit dieser bekleidet kann er dem Berufe des Ordensstandes nachkommen und sein eigenes Seelenheil fördern. Und ein Bischof kann, wenn Hindernisse auftauchen, von der Sorge um das Seelenheil anderer sich abwenden und in den Ordensstand eintreten; jedoch, falls die Hindernisse verschwinden, wie z. B. durch die Sinnesänderung der untergebenen, durch das Aufhören des etwaigen Ärgernisses oder durch die Heilung der Krankheit, durch hinreichenden Unterricht etc., auch wieder die bischöfliche Hirtensorge übernehmen. Ebenso wenn er kraft Simonie ein Bistum erlangt hat, ohne daß er selbst davon wußte, kann er, trotzdem er auf das Bistum verzichtet hat und Ordensmann geworden ist, wieder ein Bistum erhalten. Nur in dem Falle daß er auf Grund einer Schuld von der bischöflichen Verwaltung durch Absetzung entfernt und um Buße zu thun einem Kloster übergeben worden ist, darf er nicht wieder zur Übernahme eines Bistums berufen werden. Deshalb heißt es 7 Qq. 1. cap. Hoc neququam: „Die heilige Synode schreibt vor, daß, wenn jemand, um Buße zu thun, der bischöflichen Würde entkleidet und einem Kloster überwiesen worden ist, ein solcher in keiner Weise mehr über ein Bistum gesetzt werde.“ III. Auch im Bereiche der Natur bleibt oft ein Vermögen ohne die entsprechende Thätigkeit, wenn ein Hindernis dazwischen tritt; wie z. B. auf Grund einer Schwäche in den Augen das thatsächliche Sehen aufhört. Und so kann auch, wegen eines dazwischen getretenen Hindernisses, die thatsächliche Ausübung der bischöflichen Weihevollmachten aufhören.
