Erster Artikel. Man darf nicht nach der bischöflichen Würde streben.
a) Dagegen wird geltend gemacht: I. 1. Tim. 3. heißt es: „Wer Bischof zu werden verlangt, der verlangt nach einem guten Werke.“ II. Der bischöfliche Stand ist vollkommener wie der Ordensstand, nach dem man doch verlangen darf. III. Prov. 11. heißt es: „Wer die Getreidefrucht verbirgt, der wird verflucht werden im Volke: Segen aber wird herabströmen auf das Haupt der verkaufenden.“ Wer nun durch Tugend und Wissenschaft zur bischöflichen Würde geeignet ist, der scheint die geistige Nahrung zu verbergen, wenn er sich solcher Würde entzieht. IV. Isaias bot sich aus freien Stücken an, das Predigtamt zu übernehmen. Die Beispiele der Heiligen aber müssen wir nachahmen, nach Röm. 15.: „Was auch immer geschrieben steht, das ist zu unserem Nutzen geschrieben.“ Da also Predigen besonders den Bischöfen zukommt, müssen wir nach der bischöflichen Würde streben. Auf der anderen Seite sagt Augustin (19. de civ. Dei 19.): „Die höhere Stellung, welche dazu bestimmt ist, das Volk zu regieren, kann wohl in geziemender Weife ausgefüllt, aber nur ungeziemenderweise erstrebt werden.
b) Ich antworte, in der bischöflichen Würde sei dreierlei zu erwägen: 1. Der hauptsächliche und leitende Zweck, der da ist das bischöfliche Wirkenund somit der Nutzen des Nächsten, dem es dient, nach Joh. ult.: „Weide meine Lämmer;“ — 2. die höhere Stufe, welche den Bischof über andere erhebt, nach Matth. 24.: „Der getreue und kluge Knecht, welchen der Herr über seine Familie gesetzt hat;“ — 3. die Achtung und Ehre, welche daraus folgt, sowie das genügende Vorhandensein zeitlicher Güter, nach 1. Tim. 5.: „Die Priester, welche gut ihre Vorsteherschaft ausüben, sind doppelter Ehre würdig.“ Um dieser letzteren Vorteile willen also nach der bischöflichen Würde streben, ist Ehrgeiz oder Geldgier und somit unerlaubt. Das drückt der Herr den Pharisäern gegenüber mit den Worten aus: „Sie lieben die ersten Plätze bei den Gastmählern und die ersten Sitze in den Synagogen und auf dem Markte gegrüßt zu werden und daß man sie nennt Rabbi.“ Wegen der hohen Stufe aber die bischöfliche Würde erstreben ist vermessen, so daß der Herr seine Jünger tadelt, die nach dem Vorrange trachteten (Matth. 20.): „Ihr wißt, daß die Fürsten der Heiden Herrscher genannt werden,“ wozu Chrysostomus (hom. 66.) bemerkt: „Dadurch thut der Herr dar, wie es heidnisch ist, nach dem Vorrange zu streben, und so bekehrt er ihre Seele, die nach dem Vorrange dürstete, durch den Vergleich mit den Heiden.“ Den Nächsten endlich nützlich zu sein ist an sich ein lobenswertes Streben. Weil aber im vorliegenden Falle es mit hoher Stellung verbunden ist, so scheint es vermessen, daß jemand darum nach der Vorsteherschaft trachtet, damit er anderen nützlich sein kann, außer wenn eine offenbare Notlage vorhanden ist, wie Gregor (Past. part. 1. cap. 8.) schreibt: „Damals war es lobenswert, nach der bischöflichen Würde zu streben, als dieselbe unzweifelhaft eine Vorstufe war, um schweren Mühseligkeiten sich auszusetzen“ (weshalb nicht leicht jemand gefunden ward, der diese Last auf sich nehmen wollte); zumal wenn der Eifer für die Ehre Gottes und für die Nächstenliebe als von Gott verliehen dazu anregt, wie Gregor von Isaias sagt (Past. part. 1. cap. 7.): „Isaias wollte dem Nächsten nützlich sein; deshalb strebte er lobenswerterweise nach den Mühen des Predigtamtes.“ Ohne Vermessenheit aber kann jeder streben, derartige Werke zu vollführen, wenn er bereits in dem entsprechenden Amte sich befindet oder wenn er sich für solche Thätigkeit für fähig hält; so zwar, daß das gute Werk erstrebt wird, nicht der Vorrang der Würde. Deshalb sagt Chrysostomus (imp. in Matth. hom. 35.): „Das Werk zu erstreben ist gut; nach der Ehre des Vorranges zu trachten ist eitel. Denn der Vorrang folgt dem, der ihn flieht; er flieht den, der nach ihm trachtet.“
c) I. „Zu jener Zeit sprach dies der Apostel,“ sagt Gregor (Past. part. 1. cap. 8.), „als derjenige, der den Gemeinden vorstand, vor allen anderen gemartert wurde;“ und so konnte man nur nach dem guten Werke, das mit der bischöflichen Würde verbunden war, trachten. Augustin zudem ertlärt (19. de civ. Dei 19.): „Der Apostel wollte mit diesen Worten auseinandersetzen, was die bischöfliche Würde sei; nämlich nicht eine Würde, sondern eine Bürde. Denn wollen wir das ἐπισκοπεῖν lateinisch wiedergeben mit „aufmerken“, „beaufsichtigen“, so liegt darin, nicht jener sei wahrhaft Bischof, der es liebt, den Vorrang zu haben; sondern derjenige, welcher es liebt, anderen zu nützen. In keiner Thätigkeit nämlich darf man die darin liegende Ehre oder die vergängliche Macht lieben, da ja Alles eitel ist unter der Sonne; sondern das Werk selber, die Arbeit, der solche Ehre oder Macht dient.“ Zudem lobt wohl der Apostel das Verlangen (nach dem guten Werke der bischöflichen Thätigkeit); „aber er kehrt dieses sein Lob allsobald in Furcht und Schrecken um, da er fortfährt: Ein Bischof muß untadelhaft sein, wie wenn er sagen wollte: Ich lobe, daß ihr verlanget; aber lernet vorher, was dies sei, was ihr suchet.“ (Gregor I. c.) II. Zur bischöflichen Würde ist die Vollkommenheit des Lebens die Voraussetzung, wie ja den Petrus der Herr vorher fragte, ob er Ihn liebe, ehe Er ihm das Hirtenamt übertrug. Für den Ordensstand aber ist die Vollkommenheit nicht die Voraussetz ung, sondern er ist der Weg zur Vollkommenheit, weshalb der Herr sagt: „Wenn du willst vollkommen sein, so gehe hin, verkaufe Alles…“; nicht: Wenn du bereits vollkommen bist. Der Grund dieses Unterschiedes liegt darin, daß die Vollkommenheit zur bischöflichen Würde gehört, insoweit der Bischof vervollkommnen, also die Vollkommenheit anderen geben soll; während zum Ordensstande die Vollkommenheit in der Weise gehört, daß die Ordensperson vervollkommnet werden, also die Vollkommenheit empfangen soll. Der aber andere vollkommen machen soll, der muß zuerst selbst die Vollkommenheit in sich haben; was nicht für jenen der Fall ist, der erst vollkommen werden soll. Vermessen nun ist es, sich für vollkommen zu halten; während es nicht vermessen ist, zur Vollkommenheit gelangen zu wollen. Ein anderer Unterschied besteht noch darin, daß die Ordensperson sich einer anderen Person unterwirft, um Geistiges in sich aufzunehmen; und das ist jedem erlaubt, so daß Augustin (l. c.) bemerkt: „Niemandem ist verboten, sich abzumühen in der Erkenntnis der Wahrheit; es gehört dies zur lobenswerten Muße.“ Wer aber Bischof wird, der soll als solcher für andere sorgen; und einen solchen Vorrang darf niemand erstreben, nach Hebr. 5.: „Keiner nimmt von sich selbst aus diese Ehre (der bischöflichen Würdc) in Anspruch; sondern wer von Gott berufen wird.“ Danach sagt Chrnsostomus (35. in op. imp.): „Den Vorrang in der Kirche begehren ist weder gerecht noch nützlich. Denn wer wäre weise zu nennen und möchte aus freien Stücken sich dienstbar machen und einer solchen Gefahr aussetzen, daß er Rechenschaft gebe für die ganze Kirche? Jener wahrlich nur begehrt so etwas, der Gott nicht fürchtet und den kirchlichen Vorrang in weltlicher Weise mißbraucht, daß er denselben zu einem weltlichen umwandle.“ III. Die Verteilung der geistigen Nahrung soll nicht nach dem Gutdünken eines jeden geschehen; sondern in erster Linie gemäß dem Willen Gottes und dann gemäß dem Willen des Vorgesetzten: „So sollen uns die Menschen erachten,“ heißt es 1. Kor. 4. „wie die Diener Christi und die Verwalter der Geheimnisse Gottes.“ Jener also verbirgt nicht die geistige Nahrung, der sich nicht eigenmächtig hinzudrängt zu geistlichen Würden; sondern derjenige, der die Pflichten des ihm übertragenen Amtes vernachlässigt oder ein Amt hartnäckig zurückweist, das ihm unter Gehorsam angetragen wird. Deshalb sagt Augustin (l. c.): „Nach der heiligen Muße trachtet die Liebe zur Wahrheit; ein rechtmäßig übertragenes Amt nimmt an die Notwendigkeit, welche der Liebe entfließt. Legt diese Last niemand auf, so soll man der Erfassung und Betrachtung der Wahrheit sich zuwenden; wird sie aufgelegt, so soll man sie tragen wegen der Notwendigkeit, die von der Liebe kommt.“ IV. „Isaias, der gesandt werden wollte,“ so antwortet Gregor (l. c.), „sieht sich zuerst durch einen vom Altare genommenen Stein gereinigt, damit niemand es wage, ungereinigt dem heiligen Dienste zu nahen. Weil es also sehr schwer ist, zu erkennen, ob man gereinigt sei, vermeidet man mit mehr Sicherheit das Amt der Predigt.“
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