Zweiter Artikel. Es ist gut, daß Orden gegründet werden für die Werke des thätigen Lebens.
a) Dem steht entgegen Folgendes: I. Die Vollkommenheit des Ordensstandes besteht im Betrachten des Göttlichen. Denn die Ordensleute „sollen im reinsten Dienste Gottes in ungeteiltem, durch besondere Regeln geleitetem Leben vermittelst heiliger Betrachtungen des Ungeteilten der gottähnlichen Liebesverbindung mit der Vollkommenheit Gottes sich nähern.“ (6. de eccl. hier.) II. Dasselbe gilt von den Ordensleuten wie von den Mönchen, nach Extrav. de Postul. cap. Ex parte; et de Statu monachor. cap. Quod Die timorem. Der Mönchsstand aber soll ein beschauliches Leben führen, nach Hieronymus (ad Paulinum, ep. 13.): „Du willst Mönch genanntwerden, d. h. einsam; was thust du in den Städten?“ Dasselbe geht,hervor aus Extrav. de Renunt. cap. Nisi oum pridem und anderen Bestimmungen. III. Das thätige Leben gehört dieser Welt an. Diese Welt aber sollen die Mönche verlassen, nach Gregor (hom. 20. in Ezech.): „Wer diese Welt verläßt und das ihm mögliche Gute thut, bringt in der Wüste Opfer dar, wie wenn er bereits Ägypten verlassen hätte.“ Auf der anderen Seite ist es „eine reine, fleckenlose Religion,… die Witwen und Waisen zu besuchen in ihrer Trübsal.“ Jakob. 1, 27.
b) Ich antworte, das beschauliche Leben diene zwar unmittelbar der Liebe Gottes; aber aus Liebe zu Gott werde auch der Nächste geliebt. Und so bezieht sich der den Mitmenschen geleistete Dienst auch auf die Liebe Gottes, nach Matth. 25.: „Was ihr dem geringsten meiner Brüder gethan, das habt ihr mir gethan.“ Also wird auch der dem Nächsten erwiesene Dienst als ein Gott dargebrachtes Opfer bezeichnet, nach Hebr. ult.: „Der Wohlthätigkeit und des Mitteilens vergesset nicht; denn durch solche Opfer verdient man bei Gott.“ Also kann ein Orden auch behufs der Werke der thätigen Nächstenliebe gegründet werden. Deshalb heißt es collat. Patr. 14. cap. 4.: „Manche (unter den OrdensIeuten) lenken ihre Absicht auf den hohen Grad der Herzensreinheit, welchen man in der Abgeschlossenheit der Wüste erlangen kann; manche nehmen auf sich die Belehrung der Brüder und die Sorge für die Klöster; manche widmen sich dem Dienste der fremden“ (abbas Nestorius).
c) I. Der Dienst Gottes wird auch in Werken thätiger Nächstenliebe gewahrt. Ebenso wird das „besondere“ Leben da gewahrt. Denn der Mensch verkehrt wohl mit den anderen, aber er richtet in besonderer Weise all seine Absicht auf den Dienst Gottes; und weil die Ordensleute um Gottes willen den Werken der Nächstenliebe sich hingeben, so kommt ihr Dienst des Nächsten von der Betrachtung des Göttlichen. II. Mit Rücksicht auf die drei Gelübde, auf das gänzliche Aufgehen nämlich im Dienste Gottes etc., kommen die eigentlichen Mönche mit allen Ordensleuten überein. Es braucht aber keine Ähnlichkeit zu sein mit Bezug auf das, was so recht auf Grund seiner innersten Natur dem beschaulichen Leben im Mönchsstande dient. Deshalb wird auch in der betreffenden Dekretale nur gesagt, es sei „dasselbe Urteil“; insoweit „weder die Mönche noch die Regularkanoniker,“ also die sogenannten Ordensleute „in öffentlichen Prozessen Sachwalter sein können;“ — und wenn in der anderen Dekretale gesagt wird: „Die Regularkanoniker sollen nicht als von den Mönchen getrennt erachtet werden,“ so folgt unmittelbar: „obgleich sie einer leichteren Regel folgen.“ III. Es kann jemand seiner Neigung nach in der Welt sein oder auch nur seiner körperlichen Gegenwart nach. Deshalb sagt der Herr zu den Aposteln: „Ick habe euch aus der Welt heraus gewählt“ (Joh. 15,19.); und doch betet Er zum Vater: „In der Welt sind sie und ich komme zu Dir.“ (Joh.17, 2.) Die Ordensleute nun sind in der Welt ihrer körperlichen Gegenwart nach; aber sie suchen da nichts Weltliches, sondern allein den göttlichenDienst. „Sie gebrauchen diese Welt, als ob sie dieselbe nicht gebrauchten.“(1. Kor. 7.) Und Jakob. 1, 27.: „Die reine, fleckenlose Religion ist, zu besuchen die Witwen und Waisen in ihrer Not“ und: „sich fleckenlos bewahren vor dieser Welt.“
