Achter Artikel. Über den Vorrang zwischen Ordensleuten, die in Gemeinschaft zusammenleben, und solchen, welche als Einsiedler leben.
a) Das Ordensleben in Gemeinschaft scheint vorzüglicher zu sein. Denn: I. Ekkle. 4. heißt es: „Besser ist es, wenn zwei zusammen sind.“ II. Matth. 18. wird gesagt: „Wenn zwei oder drei zusammen sind in meinem Namen, dann bin ich mitten unter ihnen.“ Nichts ist aber besser als die Gemeinschaft mit Christo. III. Das Gelübde des Gehorsams ist das vorzüglichste unter den drei Ordensgelübden; die Demut ist ebenso im höchsten Grade Gott angenehm. Nun schreibt aber Hieronymus (ad Rusticum ep. 4.): „In der Einsamkeit schleicht sich leicht der Stolz in das Herz, er schläft wann er will, thut was er will…, in Gemeinschaft mit anderen aber lebend thust du nicht was du willst; ißt was man dir bietet; hast was man dir giebt; bist unterthan einem, dem du nicht unterthan sein willst; dienst den Brüdern, fürchtest den Oberen wie Gott; liebst ihn wie einen Vater.“ IV. Luk. 11. heißt es: „Niemand zündet ein Licht an und stellt es unter den Scheffel.“ Wer aber in der Einsamkeit lebt, scheint den Menschen keinen Nutzen zu bringen. Also ist das nicht die vollkommenere Lebensweise. V. Was der Natur des Menschen gemäß ist, gehört zu seiner Vollendung; der Mensch ist aber von Natur auf die Gesellschaft angewiesen, nach 1 Polit. 2. Auf der anderen Seite sagt Augustin (de op. monach. 23.): „Jene sind heiliger, welche von den Blicken der Menschen getrennt keinem den Zutritt zu ihrer Person gewähren und in großem Gebetseifer leben.“
b) Ich antworte, die Einsamkeit sei ebensowenig wie die Armut die Vollkommenheit selber, sondern ein Werkzeug für die Vollkommenheit; weshalb der Abt Moses (collat. Patr. 1. cap. 7.) sagt, „die Einsamkeit solle man aufsuchen, gemäß der Reinheit des Herzens.“ Da nun die Einsamkeit offenbar nur dem beschaulichen Leben dient, nach Ose. 2, 14.: „Ich will diese Seele in die Einsamkeit führen und zu ihrem Herzen sprechen,“ so kommt sie den für das thätige Leben gestifteten Orden nicht zu oder höchstens zeitweise, wie man von Christo liest (Luk. 6.): „Er ging hinauf auf den Berg um zu beten und brachte die Nacht zu im Gebete zu Gott.“ Mit Bezug auf die beschaulichen Orden aber muß man überlegen, daß Alles, was auf die Einsamkeit angewiesen ist, sich selbst genügend sein muß. Was sich selbst aber genügt, das ist vollkommen. Die Vollkommenheit kommt also nur den im beschaulichen Leben bereits vollkommenen zu. Dies aber, in dieser Weise vollkommen zu sein, kann in zweifacher Weise zutreffen:
a) kraft der Gabe Gottes allein, wie bei Johannes dem Täufer, „der mit dem heiligen Geiste angefüllt war vom Mutterleibe an“ und sonach, noch im Kindesalter befindlich, bereits in der Wüste lebte; —
b) kraft der Übung im geistigen Leben, nach Hebr. 5.: „Den vollkommenen gebührt feste Speise, die da ihren Sinn geübt haben und somit gewohnt sind, das Gute vom Bösen im einzelnen Falle zu unterscheiden.“ Um diese Übung aber zu machen, wird der Mensch durch die Gemeinschaft mit anderen unterstützt:
a) durch die Belehrung: „Mir gefällt dein Zusammenwohnen mit Heiligen; so wirst du dich nicht selber zu lehren notwendig haben“ (Hieronymus ad Rusticum); —
b) durch das Beispiel der anderen, was da hilft, verderbliche Neigungen zu zügeln; denn „was nützt,“ so Gregor (30. moral. 12.) „die Einsamkeit des Körpers, wenn mangelt die Einsamkeit des Herzens.“ Zur Übung in der Vollkommenheit also bedarf es der Gemeinschaft mit anderen; die Einsamkeit selber gebührt den bereits vollkommenen. Deshalb sagt Hieronymus (ad Rust.): „Tadeln wir das einsame Leben? Keineswegs; wir haben es ja so oft gelobt. Aber vom Übungsplatze der Klöster möchten wir solche in die Einsamkeit senden, welche die Härte der Einsamkeit nicht schreckt, welche bereits längere Zeit den Beweis gegeben haben, daß sie zu einer gewissen Vollkommenheit gelangt sind.“ Also ist das Leben der Einsiedler, wenn es nur in gebührender Weise geführt wird, höher wie das Leben in der Klostergemeinschaft; im nämlichen Verhältnisse wie das Vollkommene höher steht als das Unvollkommenere und zur Vollkommenheit Führende. Geht aber jemand ohne gehörige vorausgegangene Übung in die Einsamkeit, so ist das äußerst gefahrvoll, wenn nicht wie bei den heiligen Benediktus und Antonius die göttliche Gnade den Mangel an Übung ersetzt.
c) I. Zwei zusammen können sich gegenseitig geistigerweise helfen. Eines solchen Beistandes aber bedürfen jene nicht, die bereits vollkommen sind; sie genügen sich selber. II. Wie Christus in der Mitte von zweien öder dreien ist, die sich gegenseitig als Mitmenschen lieben, so wohnt Er im Herzen desjenigen, der das Göttliche aus Liebe zu Gott betrachtet; wie 1. Joh. 4. gesagt ist: „Wer in der Liebe bleibt, der bleibt in Gott und Gott in ihm.“ III. Thatsächlich gehorchen ist für jene notwendig, die, um zur Vollkommenheit zu gelangen, der Leitung von seiten anderer bedürfen. Der aber bereits vollkommen ist, wird genügend durch den Geist Gottes getrieben und bedarf es nicht mehr, einem anderen zu gehorchen; er behält dabei den Gehorsam als Tugend immer dem Zustande oder der inneren Bereitwilligkeit nach. IV. „Jeder kann danach streben, die Weisheit zu erlernen; es ist dies eine lobenswerte Muße,“ sagt Augustin. (19. de civ. Dei 19.) Daß aber jemand auf den Leuchter gestellt wird, das hängt nicht von ihm, sondern von den Oberen ab: „Wenn diese Last nicht aufgelegt wird, soll man die Wahrheit betrachten,“ wozu die Einsamkeit viel hilft. Jedoch sind die in der Einsamkeit lebenden ebenfalls den Menschen von größtem Nutzen. Deshalb sagt Augustin (de morib. Eccl. 31.): „Mit Brot allein, wenn es ihnen von Zeit zu Zeit gebracht wird, und mit Wasser sind sie zufrieden; die wüstesten und verlassensten Stellen der Erde bewohnen sie; mit Gott verkehren sie, dem sie mit reinster Seele anhängen. Manchem scheint es, sie hätten mehr als sich gebührte den menschlichen Verkehr verlassen; er versteht nicht, wie viel ihre Vollkommenheit in ihren Gebeten uns nützt und wie das Leben derjenigen uns ein Beispiel ist, deren Körper wir nicht sehen können.“ V. Der Mensch kann einsam leben: 1. weil er die Gesellschaft mit Menschen nicht duldet wegen der Wildheit seiner Seele; — 2. weil er ganz den göttlichen Dingen anhängt. Deshalb sagt Aristoteles (1 Polit. 2.): „Wer einsam lebt, ist entweder den wilden Tieren ähnlich oder Gott.“
