Erster Artikel. Die Einigung im fleischgewordenen Worte hat sich nicht vollzogen in der Natur.
a) Es scheint, daß bloß eine Natur in Christo sei. Denn: I. Cyrillus sagt (conc. Chalced. part. 2. art. 1.): „Man darf nicht zwei Naturen hier annehmen, sondern die eine fleischgewordene Natur Gottes des Wortes.“ Also vollzieht sich die Einigung in der Natur. II. Nach Athanasius im Symbolum „ist Gott und Mensch der eine Christus, wie das Fleisch und die vernünftige Seele der eine Mensch ist.“ Letztere zwei Elemente aber bilden eine einige Natur; also ist dies auch der Fall mit der Einigung zwischen Gott und dem Menschen. III. Die eine von zwei Naturen wird nicht von der anderen aus benannt, wenn nicht in irgend einer Weise beide ineinander übergehen, eine also in die andere irgendwie verwandelt wird. Die göttliche und menschliche Natur aber in Christo werden voneinander benannt; wie Cyrillus spricht „von der göttlichen Natur, die Fleisch geworden sei“ und Gregor von Nazianz „von der menschlichen, die vergöttlicht worden“ (ep. 1. ad Cledonium), nach Damascenus (3. de orth. fide 6.). Also wird aus der göttlichen und menschlichen Natur in Christo eine einige Natur. Auf der anderen Seite wird im Konzil von Chalcedon gesagt: „Wir bekennen, daß in den letzten Tagen der Eingeborene Sohn Gottes erschienen sei in den zwei Naturen, der göttlichen und menschlichen, unvermischt, ungeändert, ungeteilt, untrennbar, so daß trotz der Einigung niemals der Unterschied der Naturen hinweggenommen worden ist.“ Also ist die Einigung nicht geschehen in den Naturen.
b) Ich antworte, zur Klarstellung dieses Punktes müsse man erwägen, was denn „Natur“ sei. Der Name „Natur“ also ist hergenommen vom Geborenwerden, vom Entstehen, nasci, natus. Demnach diente dieser Name zuerst, um die Erzeugung der lebenden Wesen zu bezeichnen (natura quasi nascitura). Sodann ist dieser selbe Name übertragen worden, um das Princip dieser Zeugung zu kennzeichnen. Und weil das Princip der Zeugung in den lebenden Wesen ein diesen innerliches ist, deshalb hat man diesen Namen noch genommen, um jegliches Princip der Bewegung zu bezeichnen, welches und soweit es dem betreffenden Dinge innerlich ist. Und danach sagt Aristoteles (2 Physic.): „Die Natur ist das Princip der Bewegung in dem Dinge, wo sie ist, von sich aus und nicht auf Grund von etwas Äußerlichem“ (per se, et non seecundum accidens). Ein solches innerliches Princip aber ist der bestimmbare Stoff oder die bestimmende Form. Bisweilen also wird „Natur“ genannt die Form, bisweilen der Stoff. Und weil der Zweck oder der Abschluß der natürlichen Zeugung in dem ist, was erzeugt wird, nämlich das Wesen der Gattung, insoweit solches durch die Begriffsbestimmung ausgedrückt erscheint; — daher kommt es, daß solches Wesen der Gattung ebenfalls „Natur“ heißt. Und danach definiert Boëtius (de duab. nat.) die Natur, wenn er sagt: „Die Natur in einem jeden Dinge ist das, was diesem Dinge vom Inneren aus die Form giebt vermittelst des Wesensunterschiedes der Gattung nach,“ wodurch nämlich die Begriffsbestimmung der Gattung vervollständigt wird. Und in dieser letzten Weise sprechen wir nun von der Natur, insofern „Natur“ nämlich ausdrückt das Wesen der Gattung, welches der Begriffsbestimmung entspricht. Wenn man nun in dieser Weise den Ausdruck „Natur“ auffaßt, so ist es ganz unmöglich, daß die Einigung im fleischgewordenen Worte sich vollzogen habe in der Natur. Denn in dreifacher Weise wird aus zwei oder mehreren Elementen etwas Eines, eine Einheit, hergestellt: 1. so, daß die zwei Elemente, ein jedes vollständig, bestehen bleiben, wo dann die Form des Ganzen nur die Figur ist oder die Zusammenstellung oder eine gewisse Ordnung. So ergiebt sich aus vielen Steinen, die ohne Ordnung bei einander liegen, als Ganzes, einfach aus dem Zusammensein, der Steinhaufe; sind aber Steine und Hölzer etc. gemäß einer gewissen Ordnung oder Figur miteinander verbunden, so entsteht als Ganzes das Haus. Und danach haben manche angenommen, daß so die Einigung sich vollzogen, nämlich in der Weise des Zusammenseins ohne Ordnung oder in der Weise der nach einer gewissen Ordnung und Abmessung bestehenden Zusammenstellung, wie dies bei einem Hause statthat. Doch dies kann nicht sein. Denn
a) ist ein solches ordnungsloses Zusammensein oder selbst die Ordnung und Figur selber nicht eine substantiale, d. h. innerlich die Substanz bestimmende Form, sondern eine aecidentale d. h. rein von außen hinzutretende; danach also wäre die Einigung der zwei Naturen in Christo nicht eine von innen kommende, eine selbständige, sondern eine von äußerer Gewalt her hinzutretende; sie wäre nicht per se sondern per accidens, was noch des weiteren im sechsten Artikel verworfen werden wird. Sodann fände sich
b) hier nur etwas Eines oder eine Einheit in gewisser Beziehung, nur unter Voraussetzung, und nicht etwas Eines schlechthin; denn es bleibt da immer dem tatsächlichen Sein nach eine Mehrheit; die Steine im Hause oder im Haufen bleiben Steine dem tatsächlichen Sein nach. Endlich ist
c) die Form solcher Dinge vielmehr Kunst wie Natur; und so entstände nicht eine einige Natur in Christo, wie diese ja wollen. 2. Ferner ergiebt sich etwas Eines oder eine Einheit aus Elementen, die wohl jedes für sich vollendet sind, aber durch die Verbindung geändert werden; und so entsteht aus Elementen ein Ganzes als Mischung. Danach nun, meinten andere, sei die Einigung bei der Menschwerdung zu denken. Doch auch dies kann nicht sein. Denn
a) ist die göttliche Natur durchaus unveränderlich, so daß sie weder in Anderes übergehen kann, weil sie unvergänglich ist, noch in sie etwas übergehen kann, weil sie nicht entsteht oder erzeugt wird. Sodann ist
b) was als gemischt dasteht mit keinem der mischbaren Elemente ein und dasselbe der Gattung nach; Fleisch z. B. ist verschieden der Gattung nach von einem jeden der es zusammensetzenden Elemente. Und so wäre Christus in der Einigung weder der gleichen Natur mit dem Vater noch der gleichen Natur mit der Mutter. Endlich kannaus Elementen, welche sehr weit voneinander abstehen, keine Mischung erfolgen als ein Ganzes; denn die Gattung eines der beiden Elemente geht verloren, wie z. B. wenn jemand einen Tropfen Wasser in einen Krug Wein schüttet. Da also die göttliche Natur unendlich weit überragt die Natur des Menschen, so könnte da keine Mischung stattfinden, sondern die göttliche Natur würde allein zurückbleiben. 3. Endlich wird etwas Eines oder eine Einheit hergestellt durch Elemente, welche im Sein noch nicht bereits vollendet oder entsprechend verändert sind, die vielmehr in sich kein bestimmtes vollendetes Sein haben; wie aus Leib und Seele der Mensch entsteht oder aus den verschiedenen Gliedern der eine Körper. Aber auch dies kann beim Geheimnisse der Menschwerdung keine Geltung beanspruchen. Denn
a) ist jede von beiden Naturen, die göttliche und die menschliche, auf ihrer Gattungsstufe vollendet. Sodann können
b) beide Naturen nicht ein Ganzes Herstellen weder in der Weise von Teilen eines gewissen Umfanges, wie die Glieder den Leib herstellen, weil die göttliche Natur unkörperlich ist; — noch in der Weise von Stoff und Form, von Bestimmbarem und Bestimmendem, weil die göttliche Natur nicht bestimmende Wesensform sein kann, zumal nicht von etwas Körperlichem; die Folge wäre nämlich, daß die sich ergebende Gattung vielen mitteilbar sein würde und so mehrere Christus es gäbe. Endlich hätte Christus in diesem Falle weder die göttliche Natur noch die menschliche; denn jeder Wesensunterschied, der hinzugefügt wird, ändert die Gattung; der Mensch z. B. ist weder Geist noch Tier.
c) I. Jener Ausdruck Cyrills wird in der fünften Synode (Constant. II., generali. 5., collat. 8., can. 8.) folgendermaßen erklärt: „Wenn jemand von einer einigen fleischgewordenen Natur Gottes des Wortes spricht und dies nicht so auffaßt, wie die Väter lehrten, daß nämlich aus der göttlichen und menschlichen Natur eine Einigung gemäß der Subsistenz oder Person sich vollzogen und in dieser Weise der eine Christus geworden ist; sondern er dies vielmehr so auffaßt, daß aus Beidem eine einzige Natur hergestellt worden, und er demnach versucht, eine einzige Natur oder Substanz der Gottheit und des Fleisches Christi einzuführen; — der sei im Banne.“ Der Sinn dieser Ausdrucksweise Cyrills also geht nicht dahin, daß aus zwei Naturen in der Menschwerdung eine einige Natur hergestellt worden ist, sondern daß die Natur des göttlichen Wortes mit sich das Fleisch vereinigt hat in der Person. II. Aus Leib und Seele entsteht bei uns eine doppelte Einheit: die der Natur und die der Person. Eine Einheit der Natur entsteht, insoweit die Seele mit dem Körper verbunden wird als substantiell diesen zu einer einzigen Substanz oder Natur bestimmende und vollendende Wesensform; wie aus dem Bestimmbaren und Bestimmenden, aus Stoff und Form eine einzige Natur wird. Danach also besteht die erwähnte Ähnlichkeit nicht; denn, nach I., Kap. 3, Art. 8. kann die göttliche Natur nicht die Wesensorm eines Körpers sein. Die Einheit in der Person aber ist vorhanden, insoweit einer existiert, der in Fleisch und Seele für sich besteht. Und danach wird die Ähnlichkeit berücksichtigt; denn der eine einige Christus besteht für sich in der göttlichen und menschlichen Natur. III. Wie Damascenus da schreibt, wird die göttliche Natur als fleischgewordene bezeichnet, weil sie der Person nach mit dem Fleische vereint ist; nicht weil sie in Fleisch verwandelt worden wäre. Ähnlich wird vom Fleische gesagt, es sei zu Gott geworden, weil es mit dem „Worte“ geeint worden;während die Eigenheiten beider Naturen die nämlichen blieben. Das Fleisch ist geworden das Fleisch Gottes des Wortes, nicht ist es in Gott verwandelt worden.
