Erster Artikel. Die Seligkeit als im Menschen befindlich ist etwas Geschaffenes.
a) Dagegen spricht: I. Der Ausdruck des Boëtius (3. de Consol.): „Daß Gott die Seligkeit selber sei, müssen wir bekennen.“ II. Die Seligkeit ist das höchste Gut. „Höchstes Gut sein“ kommt aber Gott zu. Da also nicht mehrere höchste Güter sind, so scheint die Seligkeit das Nämliche zu sein wie Gott. III. Die Seligkeit ist der letzte Endzweck, wonach seiner Natur gemäß der menschliche Wille wie nach seinem Zwecke strebt. Nur aber zu Gott hin als zu seinem letzten Zwecke darf der Wille sich richten; „an dem allein der Mensch sich erfreuen soll,“ wie Augustin sagt. (I. de doct. chr. 5. et 22.) Also ist die Seligkeit das Nämliche wie Gott. Auf der anderen Seite ist nichts, was geworden, etwas Ungeschaffenes. Die Seligkeit des Menschen aber ist etwas Gewordenes, weil nach Augustin (I. de doct. chr. 3.) „man jene Dinge genießen soll, welche selig machen“. Also ist die Seligkeit nichts Ungeschaffenes.
b) Ich antworte gemäß dem, was oben Kap. 1, Art. 8 gesagt worden ist. Man spricht in doppelter Weise vom Zwecke. Einmal ist er die Sache selber, die wir wünschen; wie für den Reichen das Geld der Zweck ist. Dann ist er der Besitz dieser Sache oder deren Genuß; wie der Besitz des Geldes der Zweck des Geizigen genannt wird. Nach der ersten Auffassung also ist der letzte Endzweck des Menschen das ungeschaffene Gut, nämlich Gott, der allein kraft seiner unendlichen Güte den menschlichen Willen vollkommen befriedigen kann. Nach der zweiten Auffassung bildet den letzten Endzweck des Menschen etwas Geschaffenes, was in ihm ist; nämlich der Genuß oder Besitz des letzten Endzweckes. Nun wird als letzter Endzweck die Seligkeit bezeichnet. Also ist sie nach der ersten Auffassung etwas Ungeschaffenes. Wird sie aber berücksichtigt in ihrem Wesen als Seligkeit des und im Menschen, so ist sie etwas Geschaffenes.
c) I. Gott ist kraft seines Wesens, nicht weil Er sie erst durch Teilnahme daran erlangt hätte, Seligkeit. Die Menschen aber sind selig kraft der Teilnahme; wie sie auch „Götter“ genannt werden, insofern sie in etwa an den Vollkommenheiten Gottes teilnehmen. Diese Teilnahme selber aber an der Seligkeit, auf Grund deren der Mensch selig genannt wird, ist etwas Geschaffenes. II. Die Seligkeit ist das höchste Gut des Menschen, weil sie der Genuß des höchsten Gutes ist. III. Ebenso wird sie der letzte Endzweck genannt.
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