Achter Artikel. Die Seligkeit besteht im Schauen des göttlichen Wesens.
a) Dementgegen sagt: I. Dionysius (myst. theol.): „Auf dem höchsten Grade der vernünftigen Thätigkeit wird der Mensch mit Gott verbunden wie mit etwas allseitig Unbekanntem.“ Was aber kraft seines Wesens geschaut wird, ist nichts Unbekanntes. II. Der höheren Natur ist eine höhere Vollendung eigen. Darin aber besteht die der göttlichen Vernunft eigene Vollendung, daß sie ihr eigenes Wesen schaut. Also ist die Seligkeit des Menschen eine niedrigere. Auf der anderen Seite sagt Johannes (I. 3, 2.): „Wenn Er erscheinen wird,… werden wir Ihn sehen wie Er ist.“
b) Ich antworte; die letzte vollendete Seligkeit des Menschen kann nur im Schauen des göttlichen Wesens bestehen. Denn 1. ist der Mensch nicht selig, so lange ihm noch etwas zu suchen und zu wünschen übrig bleibt. Ferner wird 2. die Vollendung eines jeden Vermögens berücksichtigt gemäß der Natur und dem Wesenscharakter seines eigensten Gegenstandes. Der Gegenstand der Vernunft nun ist nach III. de anima das innere Wesen des vorliegenden Dinges. Insoweit also macht die Vollendung der Vernunft Fortschritte, als selbige das Wesen eines Dinges erkennt. Wenn also eine Vernunft die Wesenheit einer Wirkung erkennt, vermittelst deren man nicht gelangen kann zur Kenntnis des Wesens der Ursache, so nämlich, daß von der letzteren gewußt werde, was sie ihrer inneren Natur nach sei; — so wird nicht gesagt, die Vernunft erreiche ohne weiteres diese Ursache; sondern sie erkennt durch die Wirkung nur die bloße Existenz der betreffenden Ursache. Und so bleibt der Natur des Menschen gemäß, wenn er eine Wirkung kennt und weiß, dieselbe habe eine Ursache, das Verlangen, daß er wisse, was denn das für eine Ursache sei, welches Wesen diese Ursache als notwendige Richtschnur ihrer Thätigkeit in sich schließe. Und dieses Verlangen heißt „Staunen“, „Sich wundern“; verursacht somit folgerichtig ein Nachforschen. So betrachtet jemand z. B. eine Sonnenfinsternis; er erkennt, dieselbe müsse eine Ursache haben, von der sie ausgehe, und weil er diese nicht kennt, so wundert er sich und die Verwunderung treibt ihn zur Nachforschung an; die da nicht ruht, bis er das Wesen und die Natur dieser Ursache kennt. Weiß also die menschliche Vernunft beim Anblicke eines geschaffenen Gegenstandes vom Schöpfer nur, daß einer vorhanden ist, so dringt ihre Kenntnis nicht ohne weiteres zur ersten Ursache vor, sondern es bleibt noch das natürliche Verlangen übrig, nach dieser Ursache zu forschen, und somit ist er noch nicht vollkommen selig. Also zur vollendeten Seligkeit gehört es, daß jemand die Wesenheit der ersten Ursache selber schaut. Somit hat die Vernunft ihre Vollendung durch die Verbindung mit Gott als dem Gegenstande, in dem allein die Seligkeit des Menschen besteht.
c) I. Dionysius spricht von der unvollendeten Seligkeit hier auf Erden. II. Der Zweck ist 1. die Sache selbst, welche verlangt wird; und so ist Gott der Zweck aller Kreatur; 2. ist der Zweck die Art und Weise der Erreichung dieser Sache; und so ist der Zweck der niedrigeren Natur ein anderer wie der der höheren je nach der verschiedenen Beziehung der Dinge zum einen Zwecke. So also ist die Seligkeit Gottes, welcher sein Wesen schaut und vollerschöpfend begreift, höher als die des Engels und des Menschen, welche Gottes Wesen schauen, aber nicht begreifen.
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