Siebenter Artikel. Die Seligkeit besteht nicht in der Kenntnis der Engel.
a) Dementgegen steht: I. Gregor der Große sagt (Kom. 26. in Evgl.): „Wenig nützt es, den Festen der Menschen anzuwohnen, wenn es nicht gelingt, bei den Festen der Engel zugegen zu sein;“ womit er die schließliche Seligkeit ausdrückt. Diese Worte aber bezeichnen nichts Anderes wie die Engel schauen. Also. II. Das Princip des menschlichen Erkennens kommt von den Engeln; wie Dionysius sagt (4. de coel. hier.), „daß die Menschen durch die Engel erleuchtet werden.“ Darin aber besteht die letzte Vollendung eines jeden Dinges, daß es mit seinem Princip verbunden sei, wie ja auch deshalb der Kreis als die vollkommenste Figur genannt wird, weil in ihm das Nämliche ist, zusammenfällt: Princip und Ende. Also das Schauen der Engel ist des Menschen Seligkeit. III. Eine jede Natur ist vollendet, wann sie mit der unmittelbar über ihr stehenden verbunden ist; wie die letzte Vollendung des Körpers es ist, mit einer geistigen Natur verbunden zu sein. Im Bereiche der Natur aber stehen über der menschlichen Vernunft die Engel. Auf der anderen Seite spricht Gott bei Jeremias 9.: „Darin rühme sich, wer sich rühmt, daß er Mich kennt und weiß.“ Also besteht die letzte Seligkeit des Menschen nur in der Kenntnis Gottes.
b) Ich antworte, daß die vollendete Seligkeit des Menschen nicht in dem besteht, was nur gemäß einer Teilnahme die Vollendung der Vernunft in sich trägt und somit bald mehr bald minder vollenden kann, nie aber so, daß die Vollendung nicht im bestimmten Falle noch eine größere werden könnte; vielmehr besteht sie in dem, was seinem Wesen nach die Vollendung der Vernunft ist, somit letztere in der Weise zu vollenden imstande ist, daß von keiner Seite mehr die Vollendung eine größere werden kann und somit eine wahre endgültige Vollendung besteht. Es ist aber offenbar, daß jegliches Ding insoweit die Vollendung eines Vermögens ist als die Natur, das Wesen des eigentlichen Gegenstandes dieses Vermögens, ihm eigen ist. Nun ist der eigentliche direkte Gegenstand der Vernunft das Wahre. Was also nur kraft der Teilnahme Wahrheit zu eigen hat, das macht, da es immer durch noch größere Teilnahme mehr Wahrheit in sich schließen kann, dadurch daß es geschaut wird, nicht die letzte Vollendung aus; denn je nach der Teilnahme an der wesentlichen Wahrheit kann der so geschaute Gegenstand mit der Wahrheit tiefer durchdrungen und somit Quelle vollendeteren Schauens sein. Da zudem nun die Verfassung der Dinge dem Sinn gegenüber die nämliche ist wie die Verfassung der Dinge der Wahrheit gegenüber, so erscheinen alle Wesen, die nur Sein haben, weil ihnen dasselbe verliehen worden, also nur durch Teilnahme am Sein selber sind, auch nur in derselben Weise wahr; sie haben nur kraft Teilnahme und nicht aus sich heraus, kraft ihres innersten Wesens, Wahrheit. Die Engel aber haben Sein, weil es ihnen verliehen worden, alsodurch Teilnahme am Sein; denn nur Gottes Sein ist sein eigenes Wesen. (I. Kap. 3, Art. 4; Kap. 61, Art. 1.) Da also Gott allein durch sein Wesen selber Wahrheit ist, so kann auch nur Er allein dadurch daß Er geschaut wird selig machen. Eine etwelche allerdings, jedoch unvollendete Seligkeit gewährt auch das Schauen der Engel; und zwar eine höhere wie das Betrachten der spekulativen Wissenschaften.
c) I. Den Festen der Engel werden wir beiwohnen, indem wir zugleich mit ihnen Gott schauen. II. Die menschlichen Seelen sind nicht, wie einige meinten, von den Engeln geschaffen; ihr Princip ist unmittelbar Gott, sowohl für ihr Sein als für ihre Erleuchtung. Der Engel ist da nur Diener. (I. Kap. 111, Art. 1.) III. Ein niedrigere Natur erreicht in zweifacher Weise die höhere: einmal gemäß der Stufe des höheren Vermögens; und so ist die Vollendung des Menschen darin, daß der Mensch zur selben Anschauung gelangt, welche die Engel besitzen; — dann, insofern das Vermögen seinen Gegenstand erreicht; und so besteht die letzte Vollendung eines jeden Vermögens darin, daß es jenes Sein erreicht, worin voll und ganz der Grund und die Natur seines Gegenstandes sich findet.
