Zweiter Artikel. Die Seligkeit ist Thätigsein.
a) Dem steht entgegen: I. Röm. 6. heißt es: „Euere Frucht habt ihr, um euch zu heiligen; zu euerem Zwecke aber habt ihr das ewige Leben.“ Das Leben aber ist kein Thätigsein, sondern ist das Sein selbst in den Lebendigen. Der letzte Endzweck also, die Seligkeit, ist nicht Thätigsein. II. Boëtius (3. de Consol.) sagt: „Die Seligkeit ist ein durch die Anhäufung aller Güter vollendeter Zustand.“ Der Ausdruck „Zustand“ aber bezeichnet kein Thätigsein. III. Die Seligkeit besagt etwas im Seligen Bestehendes, da sie ist die letzte Vollendung des Menschen. Das Thätigsein aber will nicht besagen etwas als im Thätigseienden Bestehendes, sondern als von selbem vielmehr Ausgehendes. IV. Die Seligkeit bleibt im Seligen. Das Thätigsein aber geht vorüber. V. Einem Menschen entspricht nur eine Seligkeit; wohl aber verschiedenartiges Thätigsein. VI. Die Seligkeit ist im Menschen ohne Unterbrechung. Das Thätigsein aber wird häufig unterbrochen, wie durch den Schlaf, durch andere Beschäftigung, durch Ruhe. Also Seligkeit ist nicht Thätigsein. Auf der anderen Seite sagt Aristoteles (1 Ethic. 7.): „Glückseligkeit will heißen ein Thätigsein gemäß vollendeter Kraft.“
b) Ich antworte, daß, insofern die Seligkeit etwas Geschaffenes, im Menschen selber Bestehendes ist, es notwendig erscheint, zu sagen, sie sei Thätigsein oder Wirksamkeit. Denn die Seligkeit ist die letzte Vollendung des Menschen. Jegliches Sein aber ist insoweit vollendet als es thatsächlich ist; denn ein bloßes Vermögen ohne Bethätigung ist unvollendet. Die Seligkeit also muß im letzten Thatsächlichsein des Menschen bestehen. Offenbar aber ist das Thätigsein oder die Wirksamkeit die letzte Thatsächlichkeit des Handelnden; weshalb es auch die zweite oder folgende Thatsächlichkeit — actus secundus — von Aristoteles (2. de anima) genannt wird; denn soweit etwas nur die bestimmende Form hat, ist es erst fähig oder vermögend, thätig zu sein, wie der, welcher Wissenschaft hat, damit nur fähig oder vermögend ist, thatsächlich einen diesbezüglichen Denkakt zu setzen. Und daher kommt es, daß Aristoteles von den anderen Dingen sagt: „Ein jegliches sei wegen seiner Thätigkeit.“ (2. de caelo.) Die Seligkeit des Menschen also muß im Thätigsein bestehen.
c) I. Leben wird 1. das Sein selber des lebenden Wesens genannt; und so ist die Seligkeit nicht Leben. Denn oben ist gezeigt worden, daß das Sein eines einzelnen Menschen, wie beschaffen es auch immer sei, nicht des Menschen Seligkeit ist; nur Gottes Seligkeit ist sein eigenes Sein. Leben wird jedoch 2. noch genannt die Wirksamkeit des lebenden Wesens, der gemäß das Princip des Lebens in die Thatsächlichkeit übergeführt wird; wie wir von einem thätigen oder einem betrachtenden oder einem genußsüchtigen Leben sprechen. Danach heißt der letzte Endzweck ewiges Lebennach Joh. 17, 3.: „Das ist das ewige Leben, daß sie dich erkennen, den einen wahren Gott.“ II. Boëtius berücksichtigt den allumfassenden inneren Gehalt der Seligkeit, wonach sie das allbefriedigende vollendete Gut ist. Deshalb nennt er sie einen „dauernden Zustand, der da vollendet ist durch die Ansammlung aller Güter“; und bezeichnet damit, daß der Selige im dauernden Besitze des vollendeten Gutes sei. Aristoteles aber drückt das Wesen selber der Seligkeit aus und zeigt, daß der Mensch vermittelst einer Wirksamkeit im Besitze dieses Gutes sei. Im übrigen sagt er 1 Ethic. cap. 7. ebenfalls „die Seligkeit sei das vollendete Gut.“ III. Eine doppelte Art Wirksamkeit giebt es: die eine geht vom Thätigseienden aus und mündet in einen außen befindlichen Stoff, wie z. B. das Schneiden, Brennen; — und eine solche Thätigkeit ist nicht Seligkeit für den Thätigseienden, denn sie ist vielmehr die Vervollkommnung des leidenden, sie aufnehmenden Stoffes wie des Thätigseienden. Die andere Art Wirksamkeit bleibt im Thätigseienden, wie das Empfinden, Erkennen, Wollen; — und in einem solchen Thätigsein kann ganz wohl die Seligkeit bestehen, denn es ist die Vollendung des Thätigseienden. IV. Da die Seligkeit das Nämliche besagt wie letzte Vollendung, so bezeichnet sie in ebenso verschiedener Weise wie es verschiedene Dinge giebt, die gemäß verschiedenen Seinsgraden der Vollendung fähig sind. In Gott nämlich ist kraft seines Wesens die Seligkeit, denn sein Sein ist Thätigsein oder reine Thatsächlichkeit; er freut sich an nichts Anderem als an Sich selbst und soweit Er in etwas wirkt. In den Engeln aber ist die Seligkeit als letzte Vollendung gemäß einem Thätigsein, vermittelst dessen sie mit dem ungeschaffenen Gute verbunden werden, und dieses Thätigsein ist ein einiges und ewiges. In den Menschen ebenfalls, soweit der gegenwärtige Zustand in Betracht kommt, ist die letzte Vollendung gemäß der Wirksamkeit, durch welche der Mensch mit Gott verbunden wird. Diese Wirksamkeit aber kann im gegenwärtigen. Leben weder ewig sein noch eine stetig fortgesetzte und demnach auch keine einige, da durch Unterbrechung die Wirksamkeit vervielfältigt wird; und sonach kann, so lange der Zustand des gegenwärtigen Lebens dauert, der Mensch keine vollkommene Seligkeit haben. Deshalb nennt Aristoteles (1 Ethic. 10.), der von der Seligkeit in diesem Leben handelt, dieselbe eine „unvollkommene“; denn er schließt nach langen Auseinandersetzungen: „Wir sagen jedoch „selig“, wie dies Menschen überhaupt sein können.“ Von Gott aber ist uns eine vollendete Seligkeit verheißen, denn es heißt Matth. 22., „daß wir sein werden wie die Engel im Himmel.“ Mit Rücksicht auf diese vollendete Seligkeit also kann der Einwurf nicht aufrecht gehalten werden; denn durch eine einige, stetig währende, ewige Wirksamkeit wird in jenem Stande der Seligkeit der Menschengeist mit Gott verbunden. Im gegenwärtigen Leben aber haben wir um so weniger Seligkeit, je weniger einig und stetig unsere mit Gott uns verbindende Thätigkeit ist. Es besteht jedoch im selbigen Grade daß unsere Thätigkeit mehr geeinigt und stetig ist, eine gewisse Teilnahme an der Seligkeit. Und deshalb ist im thätig nach außen wirksamen Leben, in der vita activa, wo der Geist mit vielen Dingen beschäftigt ist, ein geringerer Anteil an der Seligkeit, wie im beschaulichen Leben, die nur auf Eines sich richtet, nämlich auf die Betrachtung der Wahrheit. Und wenn auch der Mensch nicht immer thatsächlich betrachtet, so ist er doch stets geeignet undbereit für solche Thätigkeit; er kann somit immer betrachten. Da er dann zudem die Unterbrechung selber, wie den Schlaf oder eine von der Natur bedingte Thätigkeit, zu dieser Betrachtung hinbezieht, so ist ein solches Thätigsein gleichsam ein stetiges. V. und VI. beantworten sich damit.
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