Siebenter Artikel. Die Thätigkeit des sinnlichen Begehrungsvermögens unterliegt dem Befehlen.
a) Dies scheint nicht. Denn: 1. Der Apostel sagt (Röm. 7, 19.): „Denn das Gute, was ich will, thue ich;“ wozu Augustin (3. cont. Julian. 26.) bemerkt: „Der Mensch will nicht sinnlich begehren und doch begehrt er.“ Also ist das sinnliche Begehren nicht geeignet, anbefohlen zu werden. II. Der körperliche Stoff gehorcht Gott allein, soweit es auf eine substantiale Änderung ankommt. (I. Kap. 105, Art 1.) Die Thätigkeit des sinnlichen Begehrens aber ist begleitet von einer körperlichen Änderung in der Substanz, insofern Kälte oder Hitze mit ihr verbunden ist. Also folgt das sinnliche Begehren nicht dem menschlichen Befehlen. III. Der eigentliche Beweggrund für das sinnliche Begehren ist das Gute, welches der Sinn oder die Phantasie aufgefaßt hat. Eine solche Auffassung ist aber nicht in unserer Gewalt. Auf der anderen Seite sagt Gregor von Nyssa (de nat. hom. 16.): „Was der Vernunft gehorcht, das teilt sich in das Begehren und in das Abwehren, Verteidigen oder Schützen,“ was beides der sinnlichen Begehrkraft angehört.
b) Ich antworte, da insoweit etwas dem menschlichen. Befehlen unterworfen ist als es in unserer Gewalt steht, so muß man zuerst prüfen, inwieweit die sinnliche Begehrkraft in unserer Gewalt ist. Darin nun besteht der Unterschied zwischen dem Willen und dem sinnlichen Begehren, daß letzteres an ein körperliches Organ gebunden ist und der Wille nicht. Jede Thätigkeit aber, welche ihrer Natur nach sich eines körperlichen Organs bedient, hängt nicht nur ab vom Vermögen der Seele, sondern auch von der Verfassung des körperlichen Organs; wie das Sehen abhängt sowohl von der Sehkraft wie auch von der stofflichen Beschaffenheit des Auges, wodurch es unterstützt oder gehindert wird. Also auch die Thätigkeit der sinnlichen Begehrkraft hängt ab nicht bloß vom Begehrvermögen, sondern auch von der Verfassung des Körpers. Was nun auf seiten des Seelenvermögens sich hält, das folgt der Auffassung. Die Auffassung aber der Phantasie als eine besondere und auf das Beschränkte gerichtete wird geregelt von der Auffassung der Vernunft als der auf das Allgemeine gerichteten; wie eine besondere wirksame Kraft ihre Richtschnur findet in der entsprechenden allgemeinen und somit in der diese besondere dem Vermögen nach in sich schließenden. Und von dieser Seite her unterliegt die Thätigkeit des sinnlichen Begehrvermögens dem Befehle der Vernunft. Die Verfassung und der Zustand des Körpers aber unterliegt nicht dem Befehle der Vernunft; und so ist nach dieser Seite hin die Thätigkeit des sinnlichen Begehrens nicht ganz und gar der Vernunft unterworfen. Trifft es sich zudem, daß die Bewegung der sinnlichen Begehrkraft plötzlich und unvorhergesehenerweise erregt wird, um sei es vermittelst der äußeren Sinne sei es vermittelst der Phantasie etwas aufzufassen, so ist auch diese Bewegung außerhalb des befehlenden Einflusses der Vernunft, obgleich die betreffende Bewegung hätte gehindert werden können, wenn sie vorausgesehen worden wäre. Deshalb sagt Aristoteles (I. Polit. 3.): „Die Vernunft herrscht über das Begehren und Festhalten oder Verteidigen nicht wie der Herr über seine Knechte, sondern wie der König über freie Unterthanen, die auch manchmal nicht gehorchen.“
c) I. Daß der Mensch nicht sinnlich begehren will, trotzdem aber begehrt, rührt von der Verfassung des Körpers her, auf Grund deren die sinnliche Begehrkraft gehindert wird, daß sie nicht ganz und gar dem Befehle der Vernunft unterwürfig sei. Deshalb sagt an der gleichen Stelle der Apostel: „Ich sehe ein anderes Gesetz in meinen Gliedern, welches widerstreitet dem Gesetze meines Geistes.“ Und zudem kommt dies auch daher, daß manchmal die Bewegung des Begehrens eine urplötzliche ist. II. Der Zustand und die Beschaffenheit des Körpers geht 1. vorher der Thätigkeit des sinnlichen Begehrens, insoweit jemand seinem Körper gemäß zu dieser oder jener Leidenschaft hingeneigt ist; und dies ist von Natur oder von einer bereits stattgefundenen Bewegung her, welche noch nicht zur Ruhe kommen kann; unterliegt also nicht dem Befehle der Vernunft; — oder 2. folgt sie der Thätigkeit des sinnlichen Begehrens, wie wenn jemand infolge des Zornes warm wird; und diese Beschaffenheit folgt dem Befehle der Vernunft; denn sie folgt der örtlichen Bewegung des Herzens, welches gemäß den verschiedenen Äußerungen des Begehrvermögens in verschiedener Weise in Bewegung ist. III. Da zur sinnlichen Auffassung ein äußerer Gegenstand gehört, so steht es nicht in unserer Gewalt, etwas sinnlich aufzufassen, wenn nicht der entsprechende äußere Gegenstand gegenwärtig ist, dessen Gegenwart nicht immer bei uns steht. Denn nur dann kann der Mensch die Sinne nach freier Wahl gebrauchen, wenn von seiten des Organs kein Hindernis vorhanden ist. Die Auffassung aber, wie sie der Phantasie oder Einbildungskraft eigen ist, untersteht der Anordnung der Vernunft im Maße der Kraft oder der Schwäche des Vermögens der Phantasie. Denn daß der Mensch nicht jene Bilder in der Phantasie formt, welche der Vernunft und deren Erwägung entsprechen, trifft sich entweder deshalb, weil es sich um etwas Unkörperliches handelt, wovon es kein Phantasiebild giebt; oder weil die Einbildungskraft zu schwach ist, was der schlechten Verfassung des Organs zu danken ist.
