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Wir müssen uns also wegen seiner väterlichen Fessel nicht so sehr in Acht nehmen, daß das Gebot des Herrn mißachtet wird.1 Denn wir müssen damit unser Lob beginnen, obschon, was wir jetzt erwähnen, der Ordnung nach zum Anschluß an die Lobsprüche bestimmt ist. Denn das ist, wenn man die Sache wohl zu unterscheiden versteht, nicht schlechthin eine Fessel, welche hindert, Den mit Lobsprüchen zu überhäufen, welcher den menschlichen Ruhm von sich weist, sondern eine nicht fesselnde Fessel und ein S. 464 nicht hinderndes Hinderniß, das die Liebenden zum Gegentheil hindrängt. Denn Das, wodurch Jener unsern Lobsprüchen zu entrinnen suchte, indem er dem Versuch durch eine Fessel zuvorkommen wollte, nehmen wir zum Ausgangspunkt unserer Lobrede. Jeder seiner Vorzüge bietet Stoff zu vollkommenem Lobe dar, vorzüglich aber, daß er am Lobe sich nicht freute. Denn er wollte nicht gut scheinen, sondern sein. Deßwegen also allein schon, wenn er sonst nichts Lobenswerthes gethan hätte, verdient er gelobt zu werden. Denn so sehr verzichtete er auf die Lobsprüche, daß er seinem Abscheu vor denselben durch eine Fessel Ausdruck gab. Das aber eröffnet unserer Rede zuerst die Rennbahn und überzeugt uns, daß wir nicht unüberlegt daran gehen und nicht abwärts stürzen, sondern auf dem königlichen Wege wandeln, indem wir wohl erkennen, daß, wenn der wunderbare Mann Gottes sich nicht für lobenswerth gehalten hätte, er Die nicht abgewehrt hätte, die ihn loben wollten. Denn Keiner, der nicht durch die größten Vorzüge Aufsehen macht, mahnt die Überlebenden, während er noch im Leben weilt,2 seine Erinnerung in Vergessenheit sinken zu lassen. Dazu kann man auch noch Dieses fügen: Wie Paulus, der Redner der Gnade, der Brautführer der Kirche, der Mund Christi, des Namens eines Apostels nicht verlustig ging, weil er sagte: „Ich bin nicht werth, ein Apostel zu heissen,“3 vielmehr wegen eben dieser Bescheidenheit um so größeren Ruhm erntete, ebenso wird auch unser großer Vater, der sich aus Strenge der Lobsprüche für unwürdig hielt, derselben gerade deßhalb für würdig erfunden werden.
Da wir nun in der Kirche die Sitte haben, Die, welche nach der Tugend streben, wenn sie die verschiedenen Gattungen derselben üben, zu krönen, und von diesen zumeist S. 465 Die, welche durch ihre demüthige Gesinnung geistig erhöht wurden nach dem Worte des Herrn im Evangelium, welches also lautet: „Wer sich erniedrigt, wird erhöhet werden,“4 so werden Die von jedem Tadel, Vorwurf und selbst jeder Mißbilligung frei sein, welche die Tugenden dieses Vaters und Gottesmannes aufzeichnen und wie in einer beseelten und lebenden Bildsäule sein Leben uns wieder vorführen. Und der weise Zuhörer wird erkennen, daß wir Wort gehalten haben, wenn er der Rede folgend die mannigfaltigen Gattungen der Tugenden sich zusammenstellt. Aus diesen werden wir gleichsam eine goldene Krone, mit kostbaren und mannigfaltigen Steinen geziert, verfertigen und der Braut Christi, der Kirche, als ein erwünschtes Geschenk darbringen. Denn sie freut sich gerne an solchen Gaben, wenn die jährliche Erinnerungsfeier der Gerechten stattfindet. Den Ephräm hat uns jetzt der Kreislauf der Zeit zur Lobpreisung zurückgeführt. Wie soll sie nicht mit überströmender Freude sein Gedächtniß begehen?
Jenen Ephräm meine ich, der im Munde aller Christen lebt, Ephräm den Syrer, denn nicht schäme ich mich der Abstammung Desjenigen, auf dessen Sitten ich stolz bin; Ephräm, der durch das Licht seines Lebens und seiner Lehre die ganze Erde erleuchtete, den man fast überall unter der Sonne kennt, der nur von so Vielen nicht gekannt wird, als das große Kirchenlicht Basilius; Ephräm, welcher fürwahr der geistige Euphrat der Kirche ist, von dem benetzt die Gemeinde der Gläubigen die Saat des Glaubens hundertfach vervielfältigt; Ephräm, den fruchtbaren Weinstock Gottes, der wie süße Trauben Früchte der Lehre hervortreibt und die Zöglinge der Kirche mit der Sättigung der göttlichen Liebe erfreut; Ephräm, den trefflichen und treuen Verwalter der Gnade, welcher die Antheile der Tugenden in entsprechender Weise unter die Mitknechte vertheilt und S. 466 das Haus des Herrn in bester Weise verwaltet. Seine Abkunft, sein Heimathsland, den Glanz seiner Ahnen, den Ruhm seiner Eltern, seine Geburt, Erziehung, sein heranreifendes Alter, seine Leibesgestalt, Schicksal, Künste und den übrigen Prunk vorzuführen, der von den heidnischen Schriftstellern zu Lobsprüchen herangezogen wird, halten wir für überflüssig. Denn wir wollen das Lob der göttlichen Männer nicht aus solchen Dingen ableiten. Obschon er auch hierin Lob im Überfluß verdient, so wollen aus Dem, wodurch er selbst sich in Leben und Rede berühmt machte, auch wir ihm den Kranz der Rede flechten. Denn Lob gebührt Dem, was in unserer Macht steht, und die Belohnung Dem, was aus unserm freien Willen entspringt. Bei Dem aber, was wir aufgezählt haben, ist der Tadel unvernünftig und das Lob ungeeignet.
