11.
Wie Jesus, der Sohn des Nave, den Jordan theilte, so öffnete er die für das Almosengeben verschlossenen Hände der Reichen zur Wohlthätigkeit, und setzte das Volk in die Erbschaft des Landes, nicht der irdischen Verheissung, sondern des himmlischen Reiches ein. Wie Samuel wurde er als Kind Gott dargebracht und vernahm die göttliche Stimme. Wie der große Elias verspottete er die Priester der Schande und lockte geistiges Feuer auf das vernünftige Opfer nicht einmal, sondern oft herab, und erhob sich auf dem feurigen Wagen der Tugenden als Fuhrmann nicht in die Luft, sondern in den Himmel. Wie Elisäus hat er die doppelte Gnade1 des Geistes sich erworben, und ist wie die Propheten oft der Erscheinung Gottes gewürdigt worden. Unsere Rede wagt es, ihn auch Dem, welcher der Größte ist von Denen, die ein Weib gebar, dem Vermittler des Gesetzes und der Gnade, an die Seite zu setzen. Wie der Vorläufer hielt er sich in der Wüste auf, und der Ruf des Herrn erging auch an ihn, und er trat als Bußprediger auf und unterwies Die, welche zu ihm kamen, ihre Sünden zu bekennen. Wie Paulus, das Gefäß der Auserwählung, bestand er mannigfaltige Versuchungen und wurde nicht müde, den Samen der Buße, wie Jener den Samen des Glaubens, auszustreuen. Und wozu soll man ihm noch länger den Einen nach dem Andern zur Seite setzen, da seine guten Thaten den ganzen Erdkreis erfüllen? S. 487 Wo aber die Werke hervortreten, ist es überflüssig, viele Worte zu machen und die lange Rede schlägt zur Unehre der Tugenden aus, als ob sie nicht im Stande wären, sich in Werken genügend zu offenbaren, sondern des Beistandes der Rede bedürften. Es geziemt sich aber, der Rede als eine wohlschmeckende Würze das hochgefeierte Wunder seines Todes beizufügen.
Als nämlich dieser Gottesmann in Begriff stand, in die himmlischen Wohnungen aufzubrechen, trug er den Anwesenden auf, sie sollten nicht in kostspieliger Kleidung seinen Leib beerdigen. Wenn aber etwa Einer als Freund des Vaters so Etwas beabsichtigt oder in Bereitschaft gesetzt hätte, so möchte er sein Vorhaben keineswegs ausführen, sondern es möge eben Das, was für seine Beerdigung bestimmt gewesen sei, den Armen gegeben werden. Einer von den Anwesenden von vornehmem Stande hatte nun ein kostbares Kleid im Voraus herrichten lassen und beschlossen, in demselben den Leib des göttlichen Greises zu begraben. Als er daher den Tadel vernahm, schmerzte es ihn und er konnte nicht zum Entschlusse kommen, das in Bereitschaft gesetzte Kleid den Armen zu geben, und glaubte sein Gewissen beruhigen zu können, wenn er den Armen dafür eine angemessene Summe Geldes gäbe. Dieser wurde sogleich vom bösen Geiste geschlagen und erntete für seinen Ungehorsam die bittersten Früchte, indem er sich vor dem Lager des Heiligen zerfleischte und aus dem Munde schäumte. Aber der mitleidige Mann Gottes sagte zu dem Geplagten: O Mensch, hast du irgend etwas Unrechtes gethan, daß dieser Unfall über dich kam? Dieser aber richtete sich in Folge seiner Anrede wieder empor, und, obschon vom Dämon im Geiste umdunkelt, gestand er doch den geheimen Gedanken und offenbarte seinen Ungehorsam. Nach diesem Geständniß machte ihn der barmherzige Greis wieder gesund und befreite ihn durch Auflegung der Hände und durch Gebet von seinem Zustande. Dann fügte er hinzu: Erfülle S. 488 dein Versprechen, o Mensch, das du schon lange in deinem Herzen gemacht hast.
Nachdem er ein solches Wunder am Ende seines Lebens gewirkt und seine Umgebung mit vielen Ermahnungen zum Eifer in der Tugend angeregt hatte, wie seine letzten Worte zeigen, führte ihn sein letzter Athemzug in den ruhigen Hafen des ewigen Reiches und er fand da gute Aufnahme. Und wo anders sollen wir glauben, daß seine Seele eingekehrt sei, als offenbar in den himmlischen Gezelten, wo die Schaaren der Engel, wo die Chöre der Propheten, wo die Throne der Apostel, wo die Freude der Martyrer, wo der Jubel der Heiligen, wo der Glanz der Lehrer, wo die Festversammlung der Erstgebornen und der reine Klang der Theilnehmer des Festes? Zu jenen Gütern, welche die Engel zu schauen sich sehnen, an jenen heiligen Ort ging die hochgepriesene und heilige Seele unseres seligen und gefeierten Vaters ein. Und ich glaube, daß seiner Seele, als sie zum Himmel sich erhob, die Tugenden seines Lebens vorausgingen und eine jede ihr jene unaussprechliche und unsichtbare Schönheit gezeigt habe, und daß wohl die größte von allen Tugenden, die Liebe, hinzugetreten sei und also gesprochen habe: Sieh, o theuerste Seele, welche Schönheit ich dir verschaffte! und mit diesen Worten ihm zugleich den Gegenstand der Entzückung gezeigt, und daß die Demuth herbeigekommen sei und gesagt habe: Sieh, gottgeliebte Seele, was für einen Ort der Ruhe auch ich dir bereitete! und daß alle nach einander gesagt und gezeigt haben, welche Belohnungen sie ihr, weil sie früher geübt worden wären, später verschafft hätten. O der preiswürdigen beneidenswerthen Abreise! O über den Tod, den man nicht zu beweinen braucht! O über die Trennung, welche die ersehnte Vereinigung bewirkt! O Hinscheiden, das dem Hingeschiedenen keine Unzufriedenheit bringt! O Leichenbestattung, die mit keinem Schmerz verbunden ist! Denn worin wir seine Lebensweise bewundern, darin finden wir unsern Trost. Denn bei den übrigen Menschen sehen die Überlebenden den S. 489 Tod als eine Ursache der Thränen an, bei den Heiligen aber veranlaßt er Freude und Festfeier, weil das nicht ein Tod, sondern vielmehr ein Scheiden und ein Hinübergehen zu einem besseren Loose ist.
Diese Lobsprüche werden dir von uns, bester Vater und Lehrer des Erdkreises, als Gaben unter deinem Verdienste, mit kühner Zunge dargebracht, nicht als ob du dessen bedürftest, ― denn welchen Ruhm könnte dir eine Rede bringen, die hinter dem Verdienste des Gelobten zurückbleibt? ― sondern vielmehr zum Nutzen der Lebenden. Denn die größte Aufmunterung und Ermahnung zum Guten ist das den guten Männern gespendete Lob. Zu dieser Rede veranlaßte und ermuthigte uns sowohl vieles Andere, ― denn ich übergehe die vielfältigen Vorzüge und was von deinem Leben und deiner Lehre in der ganzen Welt berühmt ist, ― als auch vorzugsweise dein wunderbarer Beistand in der Befreiung deines Namensgenossen, der uns auch bewog, dieser Arbeit uns zu unterziehen. Dieser wurde von Barbaren, Nachkommen des Ismael, gefangen fortgeführt. Und als er nach kurzer Entfernung von seiner Heimath wider [„wieder“ statt „wider“?] nach Hause zurückkehrte und keinen sicheren Weg kannte, fand er deinen unerwarteten Beistand und lernte durch dich den zur Rettung geeignetsten Weg kennen und verfehlte in der That sein Ziel nicht. Da er nämlich schon in die äusserste Gefahr gerathen war und er den Tod vor Augen sah, weil auf seinem Wege ihn ringsum die Barbaren bedrohten, so entging er, als er nur deines Namens gedachte und ausrief: „Heiliger Ephräm, steh mir bei!“ unbeschädigt dem gefahrvollen Irrweg, zeigte sich über die Furcht erhaben und hat so wider Erwarten Rettung gefunden und ist durch deine Fürsorge geschützt dem Vaterlande unverhofft zurückgegeben worden.
Deßhalb wagten wir im Vorhergehenden, uns weiter zu verbreiten, und wagten dein Lob mit unreinen Lippen auszusprechen. Und wenn wir in unserer Darstellung das S. 490 rechte Maß ziemlich erreicht haben, so werden wir dich offen als den Urheber des Gelingens erklären und dir das Verdienst zuschreiben. Wenn aber die Lobsprüche hinter deinem Werthe zurückbleiben, so werden wir auch dann für das Mißlingen dich verantwortlich machen, mag es auch ein kühnes Wort sein. Denn da du den Lobsprüchen entgehen willst und auch jetzt nach deinem Hinscheiden noch, wie damals, als du auf der Welt warest, die Demuth liebst, so stehst du Denen hindernd im Wege, die dich loben wollen. Doch mag das Eine oder das Andere der Fall sein, wir entrichten dir, so weit wir vermögen, unsere Schuld, und vertrauen, daß du uns, die wir dem Vater mit warmer Liebe zugethan sind, nicht zurückweisen, sondern wie von Kindern unsere stammelnden Worte, die den Eltern lieb sind, aufnehmen wirst. Du aber, der du am göttlichen Altare stehst und mit den Engeln die das Leben beherrschende hochheilige Dreiheit anbetest, sei unser Aller eingedenk, erflehe uns Nachlassung der Sünden und den Genuß des ewigen Reiches in Christus Jesus, unserm Herrn, dem der Ruhm sei mit dem Vater, der keinen Ausgang hat, und dem göttlichen belebenden Geiste jetzt und allzeit und von Ewigkeit zu Ewigkeit. Amen.VI. Lobrede auf den großen Martyrer Theodor.
IV. Kön. 2, 9 ff. [II. Kön. nach neuerer Lesart]. ↩
