10.
So zeigte sich im Eifer der Frömmigkeit unser großer Vater und Lehrer Ephräm. Das eine Mal zeigte er Sanftmuth und Gelassenheit, wenn kein Kampf nöthig war, ein anderes Mal Rauhheit und Härte. Zumal wenn der Glaube gefährdet war, behandelte er Alles mit Weisheit, und wie es die Verhältnisse erforderten. Denn auch das, sein Eifer S. 483 für Gott nämlich, ist nicht geringer, als seine vielen Fasten, Thränen und unabläßigen Gebete, oder ist vielmehr höher als Jenes, insoferne Jenes seinen Gewinn auf Den beschränkt, der sich ihm hingibt, dieser aber einen gemeinsamen Nutzen bringt. Denn die richtige Auffassung beurtheilt den guten Jäger im Kampfe gegen die streitbaren Thiere, den guten Steuermann im Kampfe mit den Winden, die das Schiff bestürmen, den geschickten Arzt an den schwer heilbaren Krankheiten, den wackeren Soldaten im Kampfe gegen ein mächtiges Heer, den für die Frömmigkeit besorgten und thätigen Mann in großen Gefahren und Schwierigkeiten, wenn er sich und die Übrigen aus bösen Anschlägen befreit. Man kann keine Art von Tugenden finden, die früher von Jemand geübt wurde, in der nicht zugleich auch er sich hervorgethan hätte. Und man kann seine Seele mit einer Quelle vergleichen, die allerlei Gewässer hervorsprudelt, welche mit Nutzen, Annehmlichkeit und Vergnügen geziert sind, oder mit einer Wiese, die mit mannigfaltigen wohlduftenden Blumen geschmückt ist, oder mit einem irdischen Himmel, der mit verschiedenen Lichtern prangt, oder mit einem Garten, wie der in Eden, den bekanntlich zahllose Fruchtbäume verschönerten, nur daß die böse Schlange ihn nicht betreten konnte, welche die Vertreibung bewirkte. Oder wenn die Natur sonst etwas Schönes und Angenehmes mit vielen und verschiedenen Gütern ausgezeichnet hat, so denke dir, daß der selige Geist des großen Ephräm so beschaffen sei, von allen Seiten mit vielen Gattungen von Tugenden umringt. Denn indem der wunderbare Mann im ganzen Leben bemüht war, den ganzen Umfang der Tugend sich anzueignen, strebte er alle Vorzüge in seiner einzigen Person zu umfassen.
Denn indem er das Gott angenehme Opfer Abels, des ersten unter den Gerechten, als Priester nachahmte, brachte er dem Herrn nicht Opfer von den Heerden, noch Fett dar, sondern ein unblutiges Opfer, den vernünftigen Dienst, in Reinheit des Lebens als Brandopfer dargestellt, nur soweit S. 484 mit Jenem in Widerspruch, als er nicht von dem bösen Mörder getödtet wurde, sondern den Schlingen des menschenfeindlichen Dämons entging und entfloh, und indem er als Sieger über die Nachstellung hervorging, wie Jener zum unvergänglichen Leben gelangte. Und indem er dem Enoch in der Hoffnung nacheiferte, rief er nicht bloß den Namen Gottes des Herrn an, sondern lehrte auch Andere, ihn zugleich anzurufen. Den Enoch ahmte er nicht durch die auffallende Versetzung von der Erde ins Paradies nach, sondern durch den Übertritt von der sinnlichen Leidenschaft zum Geiste. Den Noe ahmte er nach, nicht indem er das Geschlecht in einer hölzernen Arche spärlich rettete, sondern indem er seine Seele von allen Seiten sicher stellte, so daß er ohne Nachtheil durch die Woge des Lebens ging und die Ladung der Tugend keinen Schaden litt. Den Abraham ahmte er sowohl in vielen andern Dingen nach, im Glauben, in der Sanftmuth und in der Liebe zu Gott, als auch vorzugsweise in der Flucht vor der Welt, indem er wie Jener sein liebes Heimathsland und seine lieben Verwandten verließ, und darin, daß er an seinem Körper die Opferung des Eingebornen darstellte, indem er sich selbst Gott opferte und die irdischen Glieder tödtete.1 Den Isaak ahmte er nach, indem er bereitwillig und unerschrocken den Tod hinnahm, nur nicht vom Vater. Denn er opferte sich überall in apostolischer Weise. Mit dem Leibe brachte er sich als Fruchtopfer dar, soweit es vom Willen abhing. Dem Geiste nach aber lebte er und lebt er für Gott wegen des heiligen Opfers seines Leibes wie im Widder. Den Jakob ahmte er nach, indem er den unreinen Esau hinterging, das heißt, den Vater der Häresien, und die Erstgeburt, die richtige Lehre der Kirche, an sich riß und indem er nicht eine von der Erde bis an den Himmel S. 485 reichende Leiter, sondern eine bis an den Himmel sich erhebende Feuersäule sah, welche die Tiefe des Geheimnisses noch schöner zu verstehen gab, ausserdem noch, indem er an seine Jünger, als er im Begriffe war, von seinem Leibe zu scheiden, wie Jener an seine Söhne die Segnungen austheilte. Und wenn Einer diese genau betrachtet, so wird er glauben, daß es die jenes großen Jakob selbst seien. Den Joseph ahmte er zunächst nach in der Keuschheit und Reinheit des Körpers, vielmehr aber noch darin, daß er das Wort, wie Jener das Getreide, austheilte.
Dem Moses war er entweder in Allem oder im Meisten ähnlich. Denn auch er floh vor dem hinterlistigen Pharao und lebte in der Wüste und sah Gott, so weit es durch die Betrachtung möglich ist, und vollbrachte Wunder und führte das Volk in der Eigenschaft eines Lehrers und überlistete die Ägyptier und riß ihren Reichthum an sich, indem er die Bücher der Häretiker erbeutete und über sie triumphirte, und er theilte das Meer, den salzigen untrinkbaren Unglauben, und führte das Volk hindurch, die Schaar der Rechtgläubigen. Und die Pharaoniten ersäufte er im Meere, die gottlose Brut der Häretiker. Und er schlug den Amalek in die Flucht,2 wenn du einen Häretiker unter diesem Namen bezeichnen willst. Von Gott leitete er das Gesetz des rechten Glaubens ab und theilte es uns Allen mit. Auf dem Berge schaute er das Vorbild des Zeltes, nicht des Zeltes des Moses, sondern des bevorstehenden schrecklichen Gerichtes und Zustandes. Den Priestern ertheilte er die Weihe, indem er Vorschriften über das Priesterthum gab. Wasser ließ er aus dem Felsen sprudeln, indem er steinharten Herzen Thränen entlockte. Mit himmlischem Brode sättigte er wie Jener, indem er Allen die Reden der Liebe darbot, wodurch vorzugsweise jede Seele Kraft erlangt und guten Muthes zum göttlichen und geheimnißvollen Brode S. 486 hinzutritt, das aus dem Schooße des Vaters zu unserm Heile herabgekommen ist. Wachteln gab er uns Gläubigen auf Erden, indem er uns lehrte, durch das Andenken an Gott in den Himmel zu dringen und die himmlische Schönheit zu betrachten. Und überhaupt, mit welchen betrachtenden Reden man immer die Auszeichnungen unsers Vaters den alten Auszeichnungen an die Seite setzen will, man wird durchaus nicht finden, daß erstere hinter den letzteren zurückbleiben.
