5.
Nicht lange hierauf starb der siegreiche Kaiser Constantinus und hinterliess seinen Söhnen die Herrschaft. Kaum vernahm der König von Persien Sapores 1 diese Nachricht, S. 7 sο eilte er mit einem grossen Heere herbei, belagerte Nisibis und brachte einen harten Kampf über die Stadt. Schon dauerte der Kampf 70 Tage, da liess Sapores das Wasser des Flusses, welcher die Stadt bespülte, eindämmen. Jetzt entstand eine grosse Aufregung (in der Stadt); denn das Wasser drang mit heftigem Ungestüm vorwärts und brach gegen die Mauer herein. Die Mauer, zu schwach, dem Andrange des Wassers zu widerstehen, zerbarst und stürzte zusammen. So meinte Sapores ohne Schwierigkeit die Stadt einnehmen zu können. Aber der h. Bischof Jacobus und der h. Ephraem mit dem ganzen Volke beteten und flehten in der Kirche zu Gott, er möge ihnen helfen. Unaufhörlich ermahnte dann der h. Hirte die Kämpfer und die ganze Gemeinde das Werk des Sapores nicht zu fürchten. Und die Bewohner der Stadt folgten dem Rathe des h. Hirten und baueten eine andere Mauer tiefer in die Stadt hinein; mitten auf dieser breiteten sie die Reihen ihrer Kämpfer aus. Als nun die Mauer eingestürzt war, wie wir erzählt haben, freute sich Sapores gar sehr und meinte, jetzt sei die Stadt sein. Plötzlich aber sah er eine neue Mauer hinter den Trümmern der alten hervorragen. Da kam eine grosse Furcht über ihn und besonders über die furchtbare Erscheinung, die ihm zu Augen kam; er erblickte nämlich einen Menschen, der, mit einem königlichen Gewande bekleidet, auf der Mauer stand und glänzte wie die Sonne. Sapores zitterte; denn er meinte, der Römische Kaiser sei in der Stadt, und er ward erzürnt auf die Kundschafter, die ihm berichtet hatten, der Kaiser sei in Antiochia. So wurde Sapores von der Einbildung, der Römische Kaiser stehe auf der Mauer und kämpfe mit den Städtern, erschreckt. Aber der Herr hatte ihm diese Angst bereitet und ihm die Ueberzeugung eingeflösst, er sei zu schwach, um die Stadt erobern zu können, und gar bald musste er wohl erkennen, dass der Gott der Christen für die Seinen kämpfe. Der heilige Ephraem bat nämlich den heiligen Hirten, er möge ihm doch erlauben, auf die Mauer zu steigen und Geschosse S. 8 des Fluches auf die Perser herniederzuschleudern. Und er stieg hinauf, hob seine Augen zu Gott empor und flehte ihn inbrünstig an, er möge Fliegen und Mücken über die Feinde senden, damit sie die Macht Gottes erkenneten und merketen, dass der Herr auch durch Kleines siege. Kaum hatte er sein Gebet vollendet, da erschienen plötzlich Wolken von Fliegen und Mücken im Lager der Feinde. Da wurden die Elephanten und Rosse so heftig gepeinigt, dass sie ihre Zügel zerrissen; denn die Mücken hatten sich ihnen in Mund und Nase gesetzt. Als die Feinde das Unheil sahen, welches über sie kam, erkannten sie, dass sie vor der Geissel nicht entfliehen konnten; denn es merkte der König Sapores gar wohl, dass der Herr dies gethan, und er zog ab von Nisibis, beschämt und gedemüthigt. Die ganze Stadt aber und alle Einwohner schrieben dieses Wunder dem heiligen Ephraem zu. 2
Sapores II., der von 309-380 regierte. Diese Belagerung von Nisibus fällt in das Ende des Jahres 337. — Constantinus d. Gr. starb den 22. Mai 337. ↩
Während Abulpharag (Bischof von Tagra) in seiner historia dynastiarum (von Pocock edirt) dies Ereigniss übereinstimmend mit dem Verfasser der syrischen Lebensbeschreibung mittheilt, schreibt Theodoret in der Kirchengeschichte (lib. 2, cap. 30) dem heiligen Jacobus selbst die göttliche Gnade der Wunderthätigkeit zu. Dass der heilige Jacobus in jenem entscheidenden Momente zugegen gewesen, geht schon aus der vorliegenden Lebensbeschreibung hervor, und so war bei ungenauen Quellen, die Abulpharag seiner Behauptung zu Grunde legte, eine Verwechselung des heiligen Jacobus und des heiligen Ephraem leicht denkbar, besonders da beide Männer gemeinsam wirkten. Wir haben von ihrer gemeinsamen Thätigkeit noch ein bedeutendes Denkmal übrig, einen Commentar über die Genesis (neben dem Commentar zur Genesis, den Ephraem allein verfasst hat). Beide Männer waren für die syrische Kirche von solcher Bedeutung, dass die Jacobiten für sie einen gemeinsamen Gedächtnisstag feiern und sie in einem ihrer Preislieder besingen: (xxx) „der heilige Jakob und der heilige Ephraem, die Beredtsamen und „die Säulen unserer heiligen Kirche." Von den Werken jenes hochgepriesenen Mannes kennen wir nur 18 Homilien genauer, die der Kardinal Antonelli 1756 zu Rom armenisch und lateinisch edirt hat; den übrigen Theil birgt noch der Vatican unter seinen Manuscripten. ↩
