10.
„Und Gott sah, daß es schön war1.” Nicht für das Auge Gottes hat das von ihm Geschaffene Reiz, und er hat auch nicht die Auffassung vom Schönen, die wir haben, sondern schön ist vor ihm das künstlerisch Vollendete2 und auf einen vernünftigen Endzweck Eingestellte. Er, der mit seinen Schöpfungen einen bestimmten Zweck verfolgte, er hat die Dinge einzeln auf ihre Zweckmäßigkeit und nach den Regeln seiner Kunst geprüft und sie gutgeheißen. Die Hand für sich, das Auge für sich und so die übrigen Glieder einer Statue, voneinander getrennt daliegend, wird auf den ersten Blick wohl niemand schön finden; aber jedes an seinen Ort gebracht, wird die Schönheit der Glieder, vorher kaum wahrnehmbar, in deren wohl proportioniertem Verhältnis auch dem Nichtkenner sichtbar. Der Künstler aber kennt auch vor der Zusammensetzung die Schönheit jedes einzelnen Gliedes und lobt jeden Einzelteil, weil er sein Augenmerk auf den Endzweck gerichtet hält. Als ein solcher Künstler wird nun auch hier Gott geschildert, der die einzelnen Werke lobt, damit zugleich aber auch der ganzen vollendeten Schöpfung das gebührende Lob erteilen will.
S. 59 Doch hier wollen wir unsern Vortrag über den zweiten Tag schließen, um den eifrigen Zuhörern Zeit zu geben, über das Gehörte nachzudenken, das Nützliche daraus ihrem Gedächtnis einzuprägen und in fleißiger Betrachtung und richtiger Verdauung sich anzueignen, und um denen, die dem Verdienst nachgehen müssen, Muße zu geben, damit sie während dieser Zeit ihr Geschäft besorgen und dann mit sorgenfreier Seele zur Abendpredigt wie zu einem Gastmahl zurückkehren.
Gott aber, der das Große geschaffen und es gefügt hat, daß dies Wenige gesagt worden, verleihe euch in allem die Erkenntnis seiner Wahrheit, auf daß ihr aus dem Sichtbaren den Unsichtbaren erkennt und aus der Größe und Schönheit der Geschöpfe den Schöpfer nach Gebühr preisen lernt! „Denn was an ihm unsichtbar ist, wird seit der Schöpfung der Welt durch seine Werke erkannt und geschaut3”, so daß Erde, Luft, Himmel, Wasser, Nacht und Tag sowie alle sichtbaren Dinge uns laut an unseren Wohltäter erinnern. Wir wollen den Sünden keinen Augenblick opfern noch dem Feinde in unseren Herzen Raum geben, indem wir durch stetes Gedenken Gott in uns tragen, dem alle Ehre und alle Anbetung jetzt und allezeit und von Ewigkeit zu Ewigkeit. Amen.
