XII. KAPITEL. Über das nämliche.
Das also lernen wir, wie der göttliche Dionysius der Areopagite sagt, aus den heiligen Aussprüchen: Gott ist die Ursache und das Prinzip aller Dinge, die Wesenheit der Wesen, das Leben der Lebenden, die Vernunft der Vernünftigen, der Verstand der Verständigen, Rückruf und Auferstehung der von ihm Abfallenden, Erneuerung und Umwandlung der das Naturgemäße Verderbenden, heiliger Halt der von unheiliger Unruhe Geplagten, Sicherheit der Stehenden, Weg und Emporführung der zu ihm Gehenden 1. Er ist aber auch, das möchte ich hinzusetzen, Vater seiner Geschöpfe. Ja, unser Gott, der uns aus dem Nichtsein ins Sein gerufen, ist Vater in eigentlicherem Sinne als die Eltern, die ja von ihm sowohl das Sein als das Zeugen empfangen haben. Er ist ferner der Hirte der ihm Folgenden und von ihm sich weiden Lassenden, das Licht der Licht Werdenden, der Vollendungsgrund der sich Vollendenden, der Vergöttlichungsgrund der sich Vergöttlichenden, der Friede der Entzweiten, die Einfachheit der einfach Werdenden, die S. 33 Einheit der sich Einenden, jeglichen Anfangs überwesentlicher, weil überanfänglicher Anfang, gütige Mitteilung des Verborgenen, d. i. seiner Erkenntnis, soweit es möglich und für den einzelnen faßbar ist.
Noch Genaueres über die göttlichen Namen 2.
Die Gottheit ist unbegreifbar, darum wird sie sicherlich auch ohne Namen sein 3. Da wir also ihr Wesen nicht kennen, wollen wir auch nicht nach dem Namen ihres Wesens forschen. Die Namen bezeichnen die Sachen. Wohl ist Gott gütig, er hat, um seine Güte mitzuteilen, uns aus dem Nichtsein ins Sein gerufen und uns mit Erkenntnis ausgestattet; allein die Erkenntnis seines Wesens hat er uns nicht mitgeteilt, so wenig wie sein Wesen. Denn unmöglich kann eine Natur die Übernatur vollkommen erkennen. Mag man auch das Seiende erkennen, doch wie soll man das Überseiende erkennen? In seiner unaussprechlichen Güte gefiel es ihm (Gott) nun, sich nach dem nennen zu lassen, was uns entspricht, so daß wir seiner Erkenntnis nicht völlig bar sind und ein, wenn auch dunkles Verständnis von ihm haben. Insofern er also unbegreifbar ist, ist er auch unbenennbar. Da er aber die Ursache aller Dinge ist und die S. 34 Begriffe und die Ursachen von allem Seienden in sich befaßt, wird er auch nach allem Seienden, selbst nach dem Entgegengesetzten, benannt, wie z. B. nach Licht und Finsternis, Wasser und Feuer. Wir sollen dadurch erkennen, daß er dieses nicht dem Wesen nach ist. Denn er ist überwesentlich und unbenennbar. Als Ursache alles Seienden wird er jedoch nach allem Verursachten benannt.
Deshalb werden von den Namen Gottes die einen verneinend ausgesagt, sofern sie das Überwesentliche bezeichnen, wie wesenlos, zeitlos, anfangslos, unsichtbar, nicht als ob er geringer wäre als etwas oder als ob ihm etwas fehlte — sein ist ja alles und aus ihm und durch ihn ist es geworden und in ihm hat es seinen Bestand 4 —, sondern weil er überschwenglich erhaben über alle Wesen ist. Die anderen aber werden bejahend ausgesagt, sie werden von ihm gebraucht, insofern er die Ursache von allem ist. Als die Ursache alles Seienden und jeglicher Wesenheit heißt er Seiender und Wesenheit. Als Ursache jeglicher Vernunft und Weisheit, des Vernünftigen und Weisen, heißt er Vernunft und vernünftig, Weisheit und weise; desgleichen Verstand und verständig, Leben und lebendig, Macht und mächtig und ebenso in allem übrigen. Viel passender jedoch wird man ihn nach dem Höheren und ihm Nahestehenden benennen. Höher aber und ihm viel näher ist das Immaterielle als das Materielle, das Reine als das Befleckte, das Heilige als das Fluchbeladene. Denn ersteres hat auch mehr an ihm teil. Darum wird man ihn passender Sonne und Licht nennen als Finsternis, Tag als Nacht, Leben als Tod, Feuer, Luft und Wasser (weil zum Leben gehörig) als Erde und vor allem und ganz besonders Güte als Schlechtigkeit oder, was dasselbe ist, seiend als nicht seiend. Denn das Gute ist Sein und Ursache des Seins, das Böse aber Beraubung von Gutem oder Sein. Das nun sind die Verneinungen und Bejahungen. Sehr fein ist aber auch die Verbindung beider, wie z. B. die überwesentliche Wesenheit, die übergöttliche Gottheit, der überanfängliche Anfang u. dgl. Es gibt ferner gewisse S. 35 bejahende Aussagen von Gott, die die Bedeutung einer überschwenglichen Verneinung haben, wie z. B. Finsternis. Nicht als ob Gott Finsternis wäre, sondern weil er nicht Licht ist, vielmehr erhaben über das Licht ist.
Es heißt also Gott Verstand, Vernunft, Geist, Weisheit und Kraft 5, da er deren Urheber, immateriell, allschaffend und allmächtig ist. Diese Prädikate werden gemeinsam von der ganzen Gottheit gebraucht, die Verneinung wie die Bejahung, und von jeder einzelnen Person der heiligen Dreieinigkeit gleichmäßig auf dieselbe Weise und unterschiedslos 6. Denn denke ich an eine der Personen, so weiß ich, daß sie vollkommener Gott, vollkommene Wesenheit ist. Nehme und zähle ich aber die drei zusammen, so weiß ich, daß sie ein vollkommener Gott sind. Denn nicht zusammengesetzt ist die Gottheit, sondern in drei Vollkommenen ein Ungeteiltes und zusammengesetztes Vollkommenes. Denke ich aber an das wechselseitige Verhältnis der Personen, so weiß ich, daß der Vater überwesentliche Sonne, Quelle der Güte, Abgrund von Wesenheit, Vernunft, Weisheit, Kraft, Licht und Gottheit, erzeugende und hervorbringende Quelle des darin verborgenen Guten ist. Er ist also Verstand, Abgrund von Vernunft, Erzeuger des Wortes und durch das Wort Hervorbringer des offenbarenden Geistes, und, um es kurz zu sagen, nur der Sohn ist Wort, Weisheit, Kraft 7 und Wille des Vaters, die einzige Kraft, die der Schöpfung aller Dinge vorangeht, die so als vollkommene Person aus einer vollkommenen Person gezeugt ist, wie der selbst weiß, der Sohn ist und heißt. Der Hl. Geist aber ist die das Verborgene der Gottheit offenbarende Kraft des Vaters, die vom S. 36 Vater durch den Sohn 8 ausgeht, wie er selbst weiß, nicht zeugungsweise. Darum ist auch der Hl. Geist der Vollender alles Geschaffenen. Alles nun, was dem verursachenden Vater, der Quelle, dem Erzeuger eignet, ist nur dem Vater zuzueignen. Alles aber, was dem verursachten (prinzipiierten), gezeugten Sohne, dem Logos, der vorangehenden Kraft, dem Willen, der Weisheit eignet, ist dem Sohne zuzueignen. Alles jedoch, was der verursachten, ausgehenden, offenbarenden, vollendenden Kraft eignet, ist dem Hl. Geiste zuzueignen. Der Vater ist Quelle und Ursache des Sohnes und des Hl. Geistes, Vater jedoch nur vom Sohne, vom Hl. Geiste Hervorbringer. Der Sohn ist Sohn, Wort, Weisheit, Kraft, Bild, „Abglanz, Abdruck“ 9 des Vaters und aus dem Vater. Der Hl. Geist aber ist nicht Sohn des Vaters, er ist Geist des Vaters, da er vom Vater ausgeht — ohne Geist keine Betätigung —, aber auch Geist des Sohnes, nicht weil er aus ihm, sondern weil er durch ihn vom Vater ausgeht. Urgrund ist nämlich nur der Vater.
Das kursiv Gedruckte findet sich wörtlich bei Ps.-Dionys., De div. nom. c. 1. 3 (Migne, P. gr. 3, 589 B—C). Am Ende von c. 1, 3 (a. a. O. 589 C), das ist einige Zeilen nach dem Stücke, das Johannes aus Pseudo-Dionysius genommen, steht der volle Ausdruck: „Das Leben der Lebenden und die Wesenheit der Wesen.“ ↩
Folgender Zusatz fehlt in älteren Handschriften. Nur in einigen jüngeren findet er sich an dieser Stelle, in Cod. Reg. n. 3109 nach IV. 9 und in Cod. Reg. n. 3451 nach II, 2 von De fid. orth., in Cod. Caesarian. n. 200 am Schlusse des Werkes (Migne, P. gr. 94, 845. 846). Langen (Johannes von Damaskus, Gotha 1879, S. 68) dürfte recht haben, wenn er sagt, daß dieser Zusatz „eine, wenn auch nicht von dem Damaszener selbst herrührende, so doch aus seinen Expositionen zusammengesetzte Umarbeitung des über Gottes Wesen und Namen Gesagten bildet“. Das hat Bilz (a. a. O. S. 106 1), der den Zusatz in Cod. Vatic. gr. 491, 494, 495 gefunden, übersehen. ↩
Justin (Apol. I, 61) schreibt: „Einen Namen für den unnennbaren Gott vermag niemand anzugeben, und sollte jemand behaupten wollen, es gebe einen solchen, so wäre er mit unheilbarem Wahnsinn behaftet.“ Übers. v. G. Rauschen in der Bibliothek der Kirchenväter: Frühchristliche Apologeten und Martyrerakten aus dem Griechischen und Lateinischen übersetzt, I (Kempten u. München 1913) 76. ↩
Kol. 1, 16 f. ↩
1 Kor. 1, 24 heißt Christus „Gottes Kraft und Gottes Weisheit“. ↩
Wohl ἀπαραλλάκτως [aparallaktōs] zu lesen. ↩
Vgl. die wahrscheinlich nicht von Athanasius verfaßte Orat. 4, 1 contra Arian. (Migne, P. gr. 26, 469 A). Or. 1, 5 contra Arian. (Migne, P. gr. 26, 21 A ff.) berichtet Athanasius, wie Arius die Namen Wort, Weisheit und Kraft erklärte. Über den Sohn als Weisheit, Macht und Wille des Vaters handelt Bilz, a. a. O. S. 133-152. ↩
Bilz, a. a. O. S. 165 f. ↩
Vgl. Hebr. 1, 3. ↩
