III. KAPITEL. Beweis für das Dasein Gottes.
Die Existenz Gottes ist denen, die die heiligen Schriften, nämlich das Alte und Neue Testament, annehmen, nicht zweifelhaft, aber auch der Mehrzahl der Heiden nicht. Denn die Erkenntnis des Daseins Gottes ist, wie gesagt 1, uns von Natur aus eingepflanzt. Allein die Schlechtigkeit des Bösen2 (═ des Teufels) übte auf die Menschennatur eine so große Gewalt aus, daß sie sogar manche in den unvernünftigsten und allerübelsten Abgrund des Verderbens stürzte: sie leugneten nämlich das Dasein Gottes. Ihren Unverstand zeigt der heilige Seher David auf, wenn er sagt: „Der Tor spricht in seinem Herzen: Es ist kein Gott“ 3. Darum haben die Jünger und Apostel des Herrn, die vom allheiligen Geiste Belehrung bekommen und durch seine Kraft und Gnade die göttlichen Zeichen wirkten, mit dem Netze der Wunder sie lebendig gefangen 4 und aus der Tiefe der Unwissenheit zum Lichte der Gotteserkenntnis emporgeführt. Desgleichen haben auch ihre Nachfolger in der Gnade und Würde, die Hirten und Lehrer, welche die erleuchtende Gnade des Geistes empfangen, durch die Macht der Wunder und „die Lehre der Gnade“ 5 die erleuchtet, die in der Finsternis waren, und auf den rechten Weg gebracht, die in die Irre gegangen 6. Wir aber, die weder die Gabe der Wunder noch die der S. 5 Unterweisung empfangen haben — wir haben uns nämlich durch die Vorliebe zu den Lüsten unwürdig gemacht —, wohlan, wir wollen einiges von dem, was uns hierüber von den Erklärern der Gnade überliefert worden ist, besprechen, zuvor aber den Vater und den Sohn und den Hl. Geist anrufen.
Alles, was existiert, ist entweder geschaffen oder ungeschaffen. Wenn nun geschaffen, so ist es sicherlich auch veränderlich. Denn wessen Sein mit Veränderung begonnen, das wird bestimmt der Veränderung unterliegen, sei es, daß es vernichtet wird oder freiwillig sich ändert. Wenn aber ungeschaffen, so ist es folgerichtig sicher auch unveränderlich. Denn wessen Sein gegensätzlich ist, bei dem ist auch die Art des Wieseins, d. h. die Eigenschaften, gegensätzlich. Wer also wird nicht dem beistimmen, daß alles Seiende, das in unsere Sinne fällt, ja sogar die Engel sich ändern und wandeln und vielfältigem Wechsel unterstehen, und zwar die geistigen Wesen, die Engel, Seelen und Dämonen, durch freie Willensentscheidung, durch den Fortschritt im Guten und die Abkehr vom Guten, worin es ein Mehr und ein Minder gibt, die übrigen Wesen aber durch Entstehen und Vergehen, durch Zunehmen und Abnehmen, durch den Eigenschaftswechsel und die Ortsbewegung? Da sie also veränderlich sind, so sind sie sicherlich auch geschaffen. Wenn aber geschaffen, dann wurden sie gewiß von jemand geschaffen. Der Schöpfer aber muß ungeschaffen sein. Denn ward auch jener geschaffen, so ist er sicher von jemand [anderem] geschaffen [und so fort], bis wir zu etwas Ungeschaffenem kommen. Da also der Schöpfer ungeschaffen ist, so ist er sicherlich auch unveränderlich. Was anders aber sollte dieses [Ungeschaffene] sein als Gott?
Aber auch der Zusammenhalt, die Erhaltung und Regierung der Welt lehrt uns, daß ein Gott ist, der dies All zusammengesetzt hat, es zusammenhält 7 und erhält und immer dafür sorgt. Denn wie hätten die entgegengesetzten Naturen von Feuer und Wasser, von Luft und Erde zur Vollendung einer Welt zusammenkommen S. 6 können, und wie könnten sie unaufgelöst bleiben, wenn nicht eine allmächtige Gewalt diese zusammengezwungen hätte und sie immerdar unaufgelöst erhielte?
Was ist das, das die Dinge am Himmel und auf Erden, und alles, was in der Luft, und alles, was im Wasser ist, ja vielmehr das, was vor diesen ist, Himmel und Erde und Luft und die Natur von Wasser und Feuer geordnet hat? Was hat diese Dinge vermischt und verteilt? Was ist das, das sie in Bewegung gesetzt hat und den unaufhörlichen, ungehinderten Lauf leitet?* Nicht etwa ihr Künstler, der, der in alle Gesetzmäßigkeit gelegt, wonach das All gelenkt und regiert wird? Wer ist ihr Künstler? Nicht der, der sie gemacht und ins Dasein gerufen? Wir werden doch nicht dem Zufall eine solche Macht einräumen. Denn gesetzt, ihr Entstehen sei Sache des Zufalls: Wessen ist die Ordnung? Auch darauf wollen wir, wenn es beliebt, hinweisen: Wessen Sache ist es, sie nach den Gesetzen, nach denen sie zuerst entstanden, zu erhalten und zu bewahren ? Eines anderen offenbar als des Zufalls. Was anders aber ist dieses [Wesen] als Gott? 8
Siehe 1. Kap. ↩
ὁ πονηρός [ho ponēros] : Matth. 5, 37; 13, 19. 38; Joh. 17, 15; 1 Joh. 2, 13 f.; 3, 12; 5, 18 f.; Eph. 6, 16. ↩
Ps. 13, 1 [hebr. Ps. 14, 1]. ↩
Vgl. Luk. 5, 10. ↩
Apg. 14, 3; 20, 32. ↩
1 Clem. ad Cor. 59, 4:* τοὺς πλανωμένους ἐπέστρεψον [tous planōmenous epestrepson] (im Gemeindegebet) = die Irrenden bringe auf den rechten Weg. ↩
1 Clem. ad Cor. 27, 4: συνεστάσατο τὰ πάντα [synestasato ta panta]. ↩
Das kursiv Gedruckte wörtlich aus Greg. Naz., Or. 28, 16 (Migne, P. gr. 36, 48 AB). ↩
