VI. KAPITEL. Vom Logos und Sohne Gottes — Vernunftbeweis.
1 Dieser einzige und alleinige Gott ist nicht ohne Logos (Wort) 2. Hat er aber ein Wort, so wird er kein solches haben, das keine eigene Subsistenz besitzt oder zu sein angefangen hat oder aufhören wird. Denn es gab nie eine Zeit, da Gott das Wort nicht war. Vielmehr hat er immer sein aus ihm gezeugtes Wort. Dieses hat nicht wie unser Wort keine eigene Subsistenz und ergießt sich nicht in die Luft, nein, es ist subsistierend, lebendig und vollkommen, weicht nicht von ihm, sondern ist stets in ihm. Denn wo sollte es sein, wenn es sich von ihm trennte? Weil unsere Natur hinfällig und leicht auflösbar ist, deshalb hat auch unser Wort keine eigene Subsistenz. Weil aber Gott immer besteht und vollkommen ist, deshalb wird auch sein Wort vollkommen, subsistierend, immer bestehend, lebendig sein und alles besitzen, was der Erzeuger hat. Unser Wort, das vom Geiste ausgeht, ist weder ganz dasselbe wie der Geist noch völlig verschieden [von ihm]. Da es aus dem Geiste ist, ist es etwas anderes als er. Da es aber den Geist selbst zur Erscheinung bringt, ist es doch nicht mehr völlig verschieden vom Geiste. Es ist vielmehr der Natur nach S. 11 eins mit ihm, dem Subjekt nach ist es verschieden. So ist es auch mit dem Worte Gottes. Dadurch, daß es für sich besteht, ist es verschieden von jenem, von dem es das Sein hat. Insofern es aber in sich all das aufweist, was man an Gott erblickt, ist es der Natur nach ein und dasselbe mit ihm. Wie man nämlich die allseitige Vollkommenheit 3 am Vater sieht, so sieht man sie auch an dem aus ihm gezeugten Wort.
[Vernunftbeweis:] συλλογιστικὴ ἀπόδειξις [syllogistikē apodeixis]. Dieser Zusatz fehlt in einigen Handschriften. ↩
Bilz (Die Trinitätslehre des hl. Johannes von Damaskus, Paderborn 1909, S. 144 f.) macht darauf aufmerksam, daß hier das Argument anklingt, das Athanasius und andere Väter, wie Cyrill von Alexandrien, Gregor von Nyssa, Gregor von Nazianz, oft gegen die Arianer gebrauchen: Wenn es eine Zeit gab, wo der Sohn, der das Wort und die Weisheit des Vaters ist, nicht war, dann gab es eine Zeit, wo Gott ohne Wort und ohne Weisheit war. Dies ist aber ungereimt. Also hat Gott immer sein Wort und seine Weisheit. Bilz (a. a. O. S. 144 ²) führt die betreffenden Väterstellen an. ↩
Das kursiv Gedruckte in diesem Kapitel fast wörtlich, aus Greg. Nyss., Orat. catech. c. 1 Migne, P. gr. 45, 13 ff. ↩
