IV. KAPITEL. Das Wesen Gottes. Seine Unbegreifbarkeit.
Daß es also einen Gott gibt, ist klar. Was er aber seiner Wesenheit und Natur nach ist, das ist völlig unbegreiflich und unerkennbar. Daß er unkörperlich ist, ist klar. Denn wie sollte das ein Körper sein, das unendlich und unbegrenzt, gestaltlos, ungreifbar und unsichtbar, einfach und nicht zusammengesetzt ist? Wie wäre etwas unveränderlich, wenn es begrenzt und leidensfähig wäre? Und wie das leidenslos, das aus Grundstoffen zusammengesetzt ist und sich wieder in sie auflöst? Denn Zusammensetzung ist der Grund des Kampfes, Kampf [der Grund] der Trennung, Trennung S. 7 [der Grund] der Auflösung. Auflösung aber ist für Gott ein völlig fremder Begriff 1.
Wie ließe sich aber auch die Tatsache halten, daß Gott alles durchdringt und alles erfüllt, wie die Schrift sagt: „Erfülle ich nicht den Himmel und die Erde, spricht der Herr?“ 2 Denn es ist unmöglich, daß ein Körper Körper durchdringt, ohne zu spalten und gespaltet, verflochten und gegenübergestellt zu werden, wie alles Flüssige sich vermischt 3 und verbindet.
Mögen auch manche 4 einen immateriellen (stofflosen) Körper annehmen, etwa den fünften Körper, wie er bei den griechischen Weisen heißt, was allerdings unmöglich ist; in Bewegung wird er jedenfalls sein so wie der Himmel. Denn diesen (═ den immateriellen Körper) nennen sie fünften Körper. Wer ist es nun, der diesen bewegt? Denn alles, was in Bewegung ist, wird von anderem bewegt. Und wer [bewegt] letzteres? Und so fort ins Unendliche, bis wir auf etwas Unbewegtes stoßen. Denn das Erstbewegende ist unbewegt, und das ist das göttliche Wesen. Wie wäre ferner das Bewegte nicht örtlich begrenzt? Darum ist nur das göttliche Wesen unbewegt, in Unbewegtheit alles bewegend. Mithin ist das göttliche Wesen unkörperlich zu fassen 5.
Aber auch dieses (= das Unkörperliche) ist nicht imstande, sein (= Gottes) Wesen zu erklären, wie auch nicht das Ungezeugtsein, das Anfangslose, das Unveränderliche, das Unvergängliche und was sonst von Gott oder in Beziehung auf Gott ausgesagt wird 6. Denn dieses bezeichnet nicht das, was er ist, sondern das, was S. 8 er nicht ist. Wer das Wesen von einem Ding angeben will, der muß sagen, was es ist, nicht das, was es nicht ist. Gleichwohl läßt sich bei Gott unmöglich sagen, was er dem Wesen nach ist. Viel geeigneter ist es, von allem [Seienden] abzusehen und so die Erörterung [über ihn] anzustellen. Denn er ist nichts vom Seienden. Nicht als ob er nicht wäre, sondern weil er über allem Seienden und über dem Sein selbst ist. Denn mag es auch vom Seienden Erkenntnisse geben, das, was über der Erkenntnis ist, wird sicherlich auch über dem Sein sein. Und umgekehrt wird das, was über dem Sein ist, auch über der Erkenntnis sein.
Unendlich und unbegreifbar also ist das göttliche Wesen. Nur das ist von ihm begreifbar, seine Unendlichkeit und Unbegreifbarkeit. All unsere bejahenden Aussagen von Gott bezeichnen nicht die Natur, sondern die Beziehungen der Natur. Wenn du [ihn] gut, wenn gerecht, wenn weise und was sonst noch nennst, so meinst du nicht die Natur Gottes, sondern die Beziehungen seiner Natur. Es gibt aber auch bejahende Aussagen von Gott, die die Bedeutung einer überschwenglichen Verneinung haben. Wenn wir z. B. von Gott Finsternis aussagen, so denken wir nicht an Finsternis, sondern [denken], daß er nicht Licht, ja sogar, daß er mehr als Licht ist. Und [sagen wir von Gott] Licht 7 aus, [so denken wir,] daß er nicht Finsternis ist.
Das kursiv Gedruckte fast wörtlich aus Greg. Naz., Or. 28, 7 (Migne, P. gr. 36, 33 BC. ↩
Jer. 23, 24. Das kursiv Gedruckte aus Greg. Naz., Or. 28, 8 (Migne, P. gr. 36, 33 D. ↩
Nach Greg. Naz., Or. 28, 8 (Migne, P. gr. 36, 36 A). ↩
Die Aristoteliker. Aristoteles lehrte, der Himmel sei gleichsam der Körper Gottes. Weil inkorruptibel und von den vier Elementen, Feuer, Luft, Wasser und Erde, verschieden, nannte er ihn nach Pythagoras fünften Körper. ↩
Vgl. zu diesem Abschnitt Greg. Naz., Or. 28, 8 (Migne, P. gr. 36, 36 AB). ↩
Das kursiv Gedruckte wörtlich aus Greg. Naz., Or. 28, 9 (Migne, P. gr. 36, 36 C). ↩
Vgl. 1 Joh. 1, 5. ↩
