XIII. KAPITEL. Vom Orte Gottes. Das göttliche Wesen allein ist unbegrenzt.
Der Ort ist körperlich, Grenze des Umgebenden, sofern das Umgebene umgeben wird. Die Luft z. B. umgibt, der Körper aber wird umgeben. Nicht ganz jedoch ist die umgebende Luft Ort des umgebenen Körpers, sondern das Ende der umgebenden Luft, die den umgebenen Körper berührt. Jedenfalls aber ist das Umgebende nicht im Umgebenen.
Es gibt aber auch einen geistigen Ort, wo die geistige, unkörperliche Natur gedacht wird und ist, wo sie zugegen ist und wirkt, nicht körperlich, sondern geistig umgeben wird. Denn sie hat keine Gestalt, um körperlich umgeben werden zu können. Darum ist Gott, da er S. 37 immateriell und unbegrenzt ist, an keinem Orte. Er selbst ist sein Ort, da er alles erfüllt und über allem ist und selbst alles zusammenhält. Man sagt aber auch, er sei an einem Orte. Ort Gottes heißt der Ort, wo seine Wirksamkeit sich offenbart. Er selbst durchdringt ja alles ohne Vermischung und teilt allem von seiner eigenen Wirksamkeit mit, so wie es der Empfänglichkeit und Aufnahmsfähigkeit, ich meine der natürlichen, und Willensreinheit des einzelnen entspricht. Reiner ist das Immaterielle als das Materielle, das Tugendhafte als das mit Schlechtigkeit Gepaarte. Es heißt demnach Ort Gottes der, der mehr teil hat an seiner Wirksamkeit und Gnade. Darum ist der Himmel sein Thron 1. Denn in ihm sind die Engel, die seinen Willen tun und ihn immerdar preisen. Das ist seine Ruhestätte, die Erde aber ist der Schemel seiner Füße 2. Denn auf ihr hat er im Fleische mit den Menschen verkehrt 3. Fuß Gottes jedoch ist sein heiliges Fleisch genannt. Es heißt aber auch die Kirche Ort Gottes. Denn diesen haben wir zu seinem Lobpreis als ein Heiligtum ausgesondert; in ihm richten wir auch unsere Bitten an ihn. Desgleichen werden auch die Orte, an denen uns seine Wirksamkeit offenbar wird, sei es im Fleische, sei es ohne Körper, Orte Gottes genannt.
Man muß jedoch wissen, daß das göttliche Wesen unteilbar ist, überall vollständig ganz ist und sich nicht nach Körperart in einzelne Teile auflöst. Nein, es ist ganz in allem und ganz über allem.
Vom Orte des Engels und der Seele und vom Unumschriebenen 4.
Der Engel wird zwar nicht 5 nach Körperart an einem Orte umschlossen, so daß er Form und Gestalt annähme. Gleichwohl sagt man, er sei an einem Orte, weil er eben auf geistige Art zugegen ist und seiner S. 38 Natur entsprechend wirkt, und er sei nicht anderswo, sondern werde an seinem Wirkungsorte geistig umgrenzt. Denn er kann nicht zu gleicher Zeit an verschiedenen Orten wirken. Gott allein ist es eigen, überall zu derselben Zeit zu wirken. Der Engel wirkt durch die Schnelligkeit seiner Natur, durch seine Fähigkeit, sich flink und rasch von einem Ort zum andern zu bewegen, an verschiedenen Orten. Das göttliche Wesen aber, das ja überall und über allem ist, wirkt zu gleicher Zeit auf verschiedene Weise durch eine einzige und einfache Tätigkeit.
Die Seele aber ist ganz mit dem ganzen Körper verbunden, und nicht ein Teil mit dem andern. Und sie wird von ihm nicht umfaßt, sondern sie umfaßt ihn wie Feuer das Eisen und bringt in ihm ihre eigenen Tätigkeiten hervor.
Umschrieben ist, was von Ort, Zeit oder Begriff begrenzt ist; unumschrieben aber, was keine dieser Grenzen hat. Unumschrieben ist also nur die Gottheit, da sie ohne Anfang und Ende ist, alles umfaßt und von keinem Begriff umfaßt wird. Denn sie allein ist unbegreifbar und unbegrenzt, von niemand wird sie erkannt, nur sie selbst erkennt sich. Der Engel aber wird umschrieben: von der Zeit, denn er hat zu sein angefangen; vom Orte, wenn auch auf geistige Weise, wie oben gesagt, und vom Begriff. Denn sie (die Engel) kennen doch wohl ihre gegenseitige Natur und sie werden vollständig vom Schöpfer begrenzt. Die Körper aber [werden] durch Anfang und Ende, durch körperlichen Ort und Begriff [umschrieben].
Folgerungen von Gott dem Vater und dem Sohne und dem Hl. Geiste 6.
Völlig unveränderlich und unwandelbar also ist die Gottheit. Sie hat, was nicht in unserer Macht gelegen ist, alles kraft ihres Vorauswissens vorherbestimmt, jedes einzelne für den geeigneten, entsprechenden Zeitpunkt und Ort. Und demgemäß „richtet der Vater niemand, sondern er hat das Gericht ganz dem Sohne S. 39 gegeben 7“. Es richtet ja allerdings der Vater und der Sohn als Gott und der Hl. Geist. Aber der Sohn selbst wird als Mensch in körperlicher Gestalt herabkommen und „auf dem Throne der Herrlichkeit sitzen 8“ — das Herabkommen und das Sitzen ist Sache eines umschriebenen Körpers — und den ganzen Erdkreis in Gerechtigkeit richten 9.
Alles steht Gott ferne, nicht dem Orte, sondern der Natur nach. Klugheit, Weisheit und Rat kommen und gehen bei uns, da sie eine Beschaffenheit sind, nicht aber bei Gott. Denn bei ihm entsteht und vergeht nichts. Er ist ja unveränderlich und unwandelbar, bei ihm darf man von keinem Akzidens reden. Denn das Gute trifft mit dem Wesen zusammen. Wer nach Gott allzeit verlangt, der sieht ihn; Gott ist ja in allem. Denn an dem Seienden (═ Gott) hängt das Seiende, und es kann nichts sein, außer es hat in dem Seienden (═ Gott) das Sein. Mit allen Dingen ist Gott vermischt, da er ihre Natur zusammenhält. Mit seiner heiligen Natur aber ist der Gott-Logos hypostatisch geeint und mit der unsrigen ohne Vermischung verbunden.
Niemand sieht den Vater, außer der Sohn und der Geist 10.
Wille, Weisheit und Kraft 11 des Vaters ist der Sohn. Man darf nämlich bei Gott von keiner Beschaffenheit reden, damit wir nicht sagen, er sei aus Wesenheit und Beschaffenheit zusammengesetzt.
Der Sohn ist aus dem Vater, und alles, was er besitzt, hat er aus ihm. Deshalb kann er auch nichts aus sich selbst tun 12. Denn er hat keine eigene Wirksamkeit neben dem Vater.
Daß aber Gott, obwohl er seiner Natur nach unsichtbar ist 13, durch seine Wirksamkeiten sichtbar wird, erkennen wir aus dem Bestand und der Regierung der Welt.
S. 40 Bild 14 des Vaters ist der Sohn 15 und [Bild] des Sohnes der Geist. Durch ihn verleiht Christus dem Menschen, in dem er wohnt, die Gottebenbildlichkeit.
Der Hl. Geist ist Gott. Er steht in der Mitte zwischen dem Ungezeugten und Gezeugten und wird durch den Sohn mit dem Vater verbunden. Er heißt Geist Gottes 16, Geist Christi 17, Verstand Christi 18, Geist des Herrn 19, Selbstherr 20, Geist der Annahme an Kindesstatt (Adoption) 21, der Wahrheit 22, Freiheit 23, Weisheit 24 (denn all das bewirkt er), er erfüllt alles durch seine Wesenheit, hält alles zusammen, er erfüllt die Welt in seiner Wesenheit, ist unfaßbar für die Welt in seiner Macht.
Gott ist immerwährende und unveränderliche Wesenheit, sie ist Schöpferin des Seienden und wird in frommer Erwägung angebetet.
Gott der Vater, der immer Seiende, ist ungezeugt, denn er ist aus niemand gezeugt, sondern er hat den gleichewigen Sohn gezeugt. Gott ist auch der Sohn, der immer zugleich mit dem Vater ist, zeitlos, ewig, ohne Fluß und Leidenschaft und Trennung aus ihm gezeugt. Gott ist auch der Hl. Geist, die heilige, subsistierende Kraft, die ohne Trennung vom Vater ausgeht und im Sohne ruht, gleichen Wesens mit dem Vater und dem Sohne.
Logos (Wort) ist der immer wesenhaft mit dem Vater zugleich Seiende. Logos ist dann auch die natürliche Bewegung des Geistes, in der er tätig ist, denkt und urteilt, gleichsam sein Licht und Abglanz. Logos ist ferner das innerliche, im Herzen gesprochene Wort. S. 41 Logos ist endlich der Bote des Gedankens 25. Der Gott-Logos ist also wesenhaft und subsistierend. Die übrigen drei Arten des Logos sind Kräfte der Seele und werden nicht in eigener Subsistenz betrachtet. Der Logos der ersten Art ist ein natürliches Erzeugnis des Geistes, das auf natürliche Weise immer aus ihm hervorquillt. Der der zweiten Art heißt das im Herzen gesprochene Wort26, der der dritten Art das mit dem Munde gesprochene Wort27.
Das Wort Pneuma ist vieldeutig. Es bedeutet den Hl. Geist. Es heißen aber auch die Kräfte (Wirkungen) des Hl. Geistes Pneumata. Pneuma [heißt] auch der gute Engel, Pneuma auch der Dämon, Pneuma auch die Seele. Bisweilen wird auch der Verstand Pneuma genannt. Pneuma [heißt] auch der Wind, Pneuma auch die Luft 28.
Vgl. Is. 66, 1; Apg. 7, 49. ↩
Ebd. [Vgl. Is. 66, 1; Apg. 7, 49]. ↩
Vgl. Bar. 3, 38. ↩
Randglosse des Kodex! ↩
Im griechischen Text fehlt die Negation. ↩
Randglosse des Kodex. ↩
Joh. 5, 22. ↩
Matth. 19, 28; 25, 31. ↩
Apg. 17, 31. ↩
Vgl. Joh. 6, 46. ↩
Vgl. 1 Kor. 1, 24. ↩
Joh. 5, 30. ↩
Vgl. Kol. 1, 15. ↩
Vgl. 2 Kor. 4, 4; Kol. 1, 15. ↩
Cf. Joh. Damasc., De Imag. orat. 1, 9 und 3, 18 (Migne, P. gr. 94, 1240 C u. 1340 A). Bilz (a. a. O. 131 1) verweist auf zwei ganz ähnliche Stellen bei Cyrill von Alexandrien (Thesaurus, assert. 10 u. 1 Migne, P. gr. 75, 132 C u. 25 A). Über den Sohn als Bild des Vaters siehe Bilz, a. a. O. S. 129—133. ↩
Röm. 8, 9; 1 Kor. 2, 11; 3, 16; 7, 40; Eph. 4, 30. ↩
Röm. 8, 9. ↩
Joh. hat wohl 1 Kor. 2, 16 im Auge. ↩
Luk. 4, 18; Apg. 5, 9. ↩
Wohl mit Rücksicht auf 2 Kor. 3, 17. ↩
Röm. 8, 15. ↩
Joh. 14, 17; 15, 26; 16, 13. ↩
Vgl. 2 Kor. 3, 17. ↩
Eph. 1, 17. ↩
Das kursiv Gedruckte wörtlich aus der Doctr. Patr. de incarn. Verb. c. 33, S. 261, 13—18; 263, 5—7. Diekamp (Doctr. Patr. S. 263 ad 5, 6 u. 7) verweist für die drei Definitionen von Logos auf den Patriarchen Anastasius I. von Antiochien (559—599), Capita philos. n. 11, 10 u. 9 (cod. Vindob. philos. 74 f. 158 V). ↩
λόγος ἐνδιάθετος [logos endiathetos]. ↩
λόγος προφορικός [logos prophorikos]. ↩
Bilz (a. a. O. S. 152 1) macht darauf aufmerksam, daß im Fragment der Catena regia in Lucam (Migne, P. gr. 95, 233 D) die Bedeutungen von πνεῦμα [pneuma] genau so aufgezählt werden wie hier. Zu jeder Bedeutung wird im Fragment noch eine Belegstelle aus der Hl. Schrift angeführt. ↩
