16.
Zuerst nun vor allem Andern muß man wissen, S. 49 daß die Ausfassung des Kreuzes nicht bei Allen eine und dieselbige ist, sondern eine andere Bedeutung hat dasselbe für die Heiden, eine andere für die Juden, eine andere für die Gläubigen, wie auch der Apostel sagt: „Wir aber predigen Christus den Gekreuzigten, den Juden zwar ein Ärgerniß, den Heiden aber eine Thorheit; den Berufenen aber aus den Juden und Heiden (predigen wir) Christum als Gottes Kraft und Gottes Weisheit,“ und an derselben Stelle: „Denn das Wort des Kreuzes ist Thorheit denen, die verloren gehen, denen aber, die selig werden (d.h. uns), Kraft Gottes.“ 1 Die Juden nun, denen aus dem Gesetze her überliefert war, daß Christus bleiben werde in Ewigkeit, nahmen Ärgerniß an seinem Kreuze, weil sie seine Auferstehung nicht annehmen wollten; den Heiden aber erschien es als eine Thorheit, daß Gott den Tod erlitten, weil sie das Geheimniß der Fleischwerdung nicht kannten, Die Gläubigen indeß, welche angenommen, daß er geboren worden, im Fleische gelitten habe und von den Todten auferstanden sei, glaubten mit Recht, daß Gottes Kraft es sei, die den Tod überwunden habe. Zuerst nun wollen wir vernehmen, wie der Umstand, daß die Juden, denen die Propheten Dieß alles vorhergesagt hatten, nicht glauben würden, sondern Jene, welche niemals Derartiges von den Propheten vernommen hatten, in prophetischer Rede durch Isaias angezeigt wird. „Denen nicht verkündigt worden ist von ihm,“ sagt er, „werden sehend und die nicht gehört haben, werden begreifen.“ 2 Daß aber von denen, welche das Gesetz Gottes betrachteten, und die von der Kindheit bis zum Greisenalter nicht glaubten, das ganze Heilsgeheimniß zu den Heiden übertragen werden würde, sagt derselbige Isaias in folgender Weise voraus: „Und es wird thun,“ sagt er, „der Herr, der Gott Sabaoth, allen Völkern auf jenem Berge, sie werden Freude trinken, Wein werden sie trinken, sie werden gesalbt werden mit Salböl auf jenem Berge: S. 50 gib Dieß alles den Völkern.“ 3 Das war nämlich der Rathschluß des Allmächtigen über alle Völker. Indeß sagen uns vielleicht Jene, welche sich brüsten in der Kenntniß des Gesetzes: ihr lästert, die ihr behauptet, der Herr sei dem Verderben des Todes und dem Leiden des Kreuzes unterworfen gewesen. So leset denn doch, was ihr geschrieben findet in den Klageliedern des Jeremias, wo er sagt: „Der Geist unseres Antlitzes, Christus der Herr, wurde ergriffen in unserm Verderben, und wir sprachen: Unter seinem Schatten werden wir leben unter den Völkern.“ 4 Man hört, wie der Prophet sagt, daß Christus der Herr ergriffen worden und für uns d. h. für unsere Sünden dem Verderben preisgegeben ist: in dessen Schatten, sagt er, sei der Heide gestellt worden, weil jenes Volk der Juden ungläubig verblieb: denn wir leben nicht unter den Juden, sondern unter den Heiden.
