16. (13. Cap.) Die, welche den Schleier noch nicht erhalten aber das Versprechen der Jungfräulichkeit gemacht haben, müssen Buße thun, wenn sie nachher heirathen wollen.
„Diejenigen aber, welche noch nicht mit dem hl. Schleier verhüllt, aber versprochen haben, im jungfräulichen Stande zu verbleiben, müssen, wenn sie etwa geheirathet haben, durch einige Zeit Buße thun, weil ihr Versprechen vonGott aufgenommen wurde. Denn wenn unter Menschen ein auf guten Glauben geschlossener Vertrag in keiner Weise aufgelöst zu werden pflegt, um wie viel mehr darf ein Gott gegebenes Versprechen ohne Strafe nicht gebrochen werden! Wenn der Apostel Paulus schon vou denen, welche von dem Vorsatze der Wittwenschaft abgewichen, sagte,1 daß sie sich die Verdammniß zuziehen, weil sie das erste Versprechen gebrochen haben, um wie viel mehr die Jungfrauen, welche ihr erstes Gelöbniß brechen!2 S. 24
I. Tim. 5, 12. ↩
- Decret. cf. C. XXVII. qu. 1, c. 9. Vergegenwärtigen wir uns hierzu die Worte im 1. Cap. des Sschreibens der römischen Synode unter P. Siricius an die Bischöfe Galliens (Briefe der Päpste II. Bd. S. 463); dort und hier werden zwei in der alten Kirche bestehende Classen gottgeweihter Jungfrauen unterschieden, von denen die eine, gleichsam die Vorbereitungsanstalt der andern, dieser die erprobten Candidatinen zuführte. Die Jungfrauen, welche Gott allein ihr Leben zu widmen gelobt hatten, mußten erst durch eine (nach Alter, Lebenswandel und sonstigen Verhältnissen) verschiedene Zeitperiode sich bewähren, ehe sie zum Zeichen ihrer Weltentsagung und völligen Hingabe an Gott unter feierlichen Ceremonien beim Gottesdienste vor versammeltem Volke aus den Händen des Bischofs (nur in Afrika war auch der einfache Priester zur Vornahme dieser Feier berechtigt) den sog. hl. Schleier erhielten und hienach sacrae, consecratae oder in Folge ihrer Einzeichnung in die Liste (Canon) derer, welche aus dem Kirchenvermögen unterhalten wurden, canonicae genannt wurden. Es ist klar, daß Diese für den begangenen Treuebruch eine strengere Strafe verdienten als Jene; die über sie verhängte Strafe erscheint hart, insbesondere, wenn man erwägt, daß sie möglicher Weise, in dem Falle nemlich, wenn ihr Mitschuldiger sie überlebte, von der Buße und in Folge dessen von der Aufnahme in die Kirche ausgeschlossen blieben und starben; doch in Anbetracht der Verletzung des Gott so feierlich gegebenen Versprechens muß das Mißtrauen in jedes von ihnen vor dem Tode ihres Mitschuldigen abgegebene versprechen der Reue und Besserung als gerechtfertigt gelten. Noch auf einen Unterschied in den Strafbestimmungen (bei Siricius) glaube ich aufmerksam machen zu müssen in Betreff des mitschuldigen Mannes; im Falle des Vergehens mit einer virgo velata scheint er nemlich von der Buße ausgeschlossen gewesen zu sein, weil von derselben keine Rede ist; nur im 2. Falle heißt es: „es sei für beide eine längere und strenge Buße heilsam“; auch diese Strenge erklart sich, wenn man bedenkt, daß im 1. Falle eine bona fides oder Unwissenheit über den freien Stand der Verführten geradezu unmöglich war, das Sacrilegium offen vorlag, im 2. Falle von Seite des Mannes aus Unwissenheit des vielleicht ganz unbekannten Gelübdes eine einfache fornicatio zu bestrafen war. — Die Frage aber, welche sich hier aufdrängt, ist die: Worin lag der letzte Grund der verschiedenen Bestrafung der zwei Fätle? Wollte und sollte vielleicht im 1. FalIe die Verletzung eines feierlichen, im 2. die eines einfachen Gelübdes geahndet werden? Fast alle neueren Kirchenrechtslehrer, Schulte (Eherecht S. 214), Knopp (Eherecht 3. Aufl. S. 132), Walter (Kirchenrecht 14. Ausg., S. 681 Note 7), Permaneder (Kirchenr. 3. Aufl. S. 661), Philipps (Lehrb. des Kirchenr. 1. Aufl., 2. Bd., S. 1028, Note 5), Kutschker (Eherecht 3. Bd., S. 228) sehen in der Behandlung unserer Fälle eine Unterscheidung des feierlichen Gelübdes von dem einfachen mit ihrer die Eingehung einer Ehe irritirenden, beziehnngsweise bloß verbietenden Wirkung. Diesen gegenüber glaube ich mit Grund Dieß verneinen und mit Dr. Schönen (s. den 4. Art. seiner Abhandlung über das Wesen der Gelübdesolemnität in Tübing. Quartalschr. 1875, S. 264 Note 2) die Erklärung für die strengere Bestrafung der virgines velatae einzig in der gröblichen, größeres Ärgerniß gebenden Versündigung gegen ein übrigens der Qualität und Verbindlichkeit nach gleiches Gelübde zu finden, da diese durch ihr Allter, ihre öffentlich und feierlich empfangenen Auszeichnungen und Begünstigungen, durch ihre ganze Lebensweise einen ebenso kräftigen Antrieb als besonnere Schutz- und Hilfsmittel für die Beobachtung ihres verpfändeten Wortes vor den virgines nondum velatae voraus hatten. Sollte man einräumen, daß die virgo velata das feierliche GeIübde der Enthaltsarnkeit übertrete, die virgo non velata ein bloß einfaches, dann müßte aus den Worten der Päpste Siricius und Innocens I. ersichtlich sein, daß die Ehe der ersten von den Päpsten für ungiltig, die der zweiten für bloß unerlaubt, sündhaft, doch giltig erklärt wurde. Daß im 1. Falle die versuchte Ehe ungiltig war, ist aus den Erklärungen des P. Siricius deutlich zu entnehmen ; nur gegen Schönen, welcher (a. a. O.) leugnet, daß schon damals diese Ehen für nichtig galten, will ich betonen, daß Siricius von der virgo velata sagt, daß sie ihrem ehebrcherischen (in Bezug auf sie und Gott) Mitschuldigen den Namen eines Gatten zur Beschönigung ihres Verbrechens beilege, sie selbst nennt er eine meretrix. So ist aber durchaus kein Grund vorhanden zur Annahme, daß Siricius die von einer virgo velata geschlossene Ehe für giltig erklart habe; zwar ist die Ungiltigkeit derselben nicht direct und präcise ausgesprochen, aber auch im 1. Falle müssen wir diese erst aus einzelnen Worten erschließen; nun aber heißt es auch von den virgines non velatae, daß sie das Gebot (praeceptum) der himmlischen Ehe nicht gehalten und nach dem Gesetze des A. T. die Steinigung verdient hätten, was doch nur dann gesagt werden konnte, wenn ihr abgelegtes Gelübde ebenfalls ein streng verbindliches, die Möglichkeit der Eingehung einer giltigen Ehe ausschließendes gewesen.
