8.
Im übrigen leben nicht nur die Menschen, sondern fast alles lebt dadurch, daß es stirbt. Nur weniges von vielem will ich anführen, doch so, daß ich einen zweifellosen Beweis für alles aus dem Wenigen erbringe. Da fallen Sterne jählings vom Himmel, und durch einen Strich von Flammen mit weißlichem Licht, den sie hinter sich zurücklassen, werden sie in der feierlichen Art einer Totenfackel in einer Art von Leichenbegängnis zu ihrem Untergang geleitet. Sucht man aber nach ihnen in der Richtung, wo sie sich losgelöst, so findet man, daß sie nach dem Gesetz des wiederauflebenden Lichtes an ihrem ursprünglichen Platz wieder auferstanden sind. Die Sonne geht jeden Tag auf und an demselben Tag, da sie aufgeht, geht sie unter. Doch erschrickt sie nicht über das Los ihres bevorstehenden Endes, so daß sie etwa ihren Lauf verzögerte, die Stunden und Augenblicke hinauszöge, um dadurch wenigstens ein weniges S. 194 von ihrem Tag länger am Leben zu bleiben: nein, allezeit getreu, allezeit unverzagt, strebt sie dem Grabe der ihr verschwisterten Nacht zu, im Bewußtsein, daß sie das Leben in sich birgt. Entzöge man ihr den Untergang, nähme man ihr auch den Aufgang. Auch der Mond, der ja alle Züge des menschlichen Daseins an sich trägt, erscheint zuerst mit kaum erkennbarer Sichel, gleichsam aus der Wiege hervorgegangen, im zarten Kindheitsalter, sodann im allmählichen Wachstum als Knabe und Jüngling, schreitet dann in täglicher Zunahme des Alters vorwärts und erfüllt so in den Windungen seines ausgedehnten Laufes seine Aufgaben in der Welt. Hat er aber, zum Vollalter gelangt, durch das goldene Feuer des flammenden, lichtspendenden Rosselenkers, an Mühen seiner Schwester (der Sonne) gleich, die silberne Scheibe seines beschränkten Kreises zur vollen Rundung gebracht,1 so neigt er sich allmählich zum Altern, bis er, durch das höchste Greisenalter aufgezehrt, durch seinen Tod wieder auflebt und in der regelmäßigen Entzündung des Keimes seines monatlichen Feuers an sein Ende wieder den Anfang anknüpft.
Der Text ist schwer herzustellen. Die Ballerini und Giuliari bieten: par laboribus fratris augustis circulis argenteum compleverit globum. Die älteste Handschrift liest: angusti circuli (darnach obige Übersetzung); spätere Handschriften, denen auch die älteren Ausgaben folgten, haben: angustis circulis. ↩
