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In ähnlicher Weise lehrt der herrliche Vogel Phönix1die Rechte der Auferstehung, er, der den Adel seiner S. 195 Art nicht von Eltern empfangen hat und nicht Kindern vererbt. Er bildet für sich selbst die beiden Geschlechter, er ist sich selbst Gegenstand ehelicher Liebe, er ist für sich selbst Geschlecht, Anfang und Ende. Er entstammt nicht geschlechtlicher Verbindung, er wird nicht durch S. 196 eine fremde Amme genährt. Er stirbt nicht gegen seinen Willen, nicht ungefaßt, sondern, wenn die rechte Zeit für seinen Tod gekommen, verbrennt er in höchster Freudigkeit in den Flammen, die von ihm selbst hierzu gerufen worden.2 Aber das Grab wird für ihn Nest, die glühende Asche zur Amme, der Aschenstaub zum Samen, um den Leib fortzupflanzen, sein Todestag zum Geburtstag. Denn nach kurzer Zeit steigt er in seinem festlichen Grabe wieder auf, nicht ein Schatten, sondern Wirklichkeit; nicht ein Bild, sondern er, der Phönix; nicht ein anderer, sondern wenn auch ein besserer als der andere, so doch derselbe wie früher. Erröte christliches Gewissen! Du magst an so vielen und so großen Dingen erkennen, wie du dereinst wiederum dasselbe sein wirst, was du bist, und doch besser sein wirst, als du bist.
Schon in vorchristlicher Zeit galt der Vogel Phönix als Bild der Palingenesie. Die Sage hat ihren Ursprung wohl im alten Ägypten. Der reiherartige Vogel Bennu, dessen Name auch die Palme (cpoTvit;) bezeichnete, erschien mit dem Schwellen des Nils und wurde Symbol einer astronomischen Zeitperiode von 500 oder 1461 Jahren. Daraus entwickelte sich eine Sage, die schon Herodot und Tacitus bezeugen. Der letztere berichtet in Annales VI, 28: „Unter den Konsuln Paullus Fabius und Lucius Vitellius (Jahr 787 a. u. c. = 34 nach Christus) kam nach Umlauf vieler Jahrhunderte der Vogel Phönix wieder nach Ägypten und gab den gelehrtesten Männern unter Eingeborenen und Griechen reichen Stoff zur Erörterung dieser Wundererscheinung. Das, worin sie übereinstimmen, wie auch manches Zweifelhafte, jedoch für die Mitteilung nicht zu Törichte, will ich darlegen. Daß dieses Tier der Sonne heilig und in Kopfbildung und Färbung der Federn von anderen Vögeln verschieden sei, darin sind die Beschrei-ber seiner Gestalt einig. Über die Dauer seines Lebens wird Verschiedenes berichtet. Am verbreitetsten ist die Annahme von fünf Jahrhunderten. Einige behaupten, er erscheine immer wieder nach 1461 Jahren, und die früheren Phönixe seien, der erste unter Sesostris, dann einer unter Amasis, dann wieder einer unter Ptolemäus, dem dritten Mazedonier, nach der Stadt Heliopolis geflogen, begleitet von großen Scharen anderer Vögel, welche über die seltsame Gestalt erstaunt gewesen. Freilich, Tftas Altertum liegt im Dunkel. Die Zeit zwischen Ptolemäus und Tiberius (nämlich des Erscheinens im Jahre 34) ist unter 250 Jahren, weswegen auch einige glaubten, dieser sei nicht der rechte Phönix und nicht aus Arabien gewesen, habe auch nichts von dem an sich, was die alte Geschichte außer Zweifel setzt: daß er nämlich, wenn seiner Jahre Zahl vollendet und sein Tod nahe sei, in seiner Heimat sich ein Nest baue und in dieses seine zeugende Kraft ergieße, woraus ein Junges entsteht; wenn dieses dann erwachsen, so sei seine erste Tätigkeit, den Vater zu bestatten und dies nicht ohne Bedacht, sondern es hebe ein Gewicht Myrrhen auf und versuche damit weite Wanderungen; und dann, wenn es gewachsen der Last, gewachsen der Wanderung sei, belade es sich mit des Vaters Leiche, trage sie auf den Altar des Sonnengottes und verbrenne sie. Das sind freilich ungewisse Dinge und mit Fabelhaftem ausgeschmückt. Daß aber der Vogel bisweilen in Ägypten gesehen wird, darüber ist kein Zweifel.„ Durch die Alexandriner kam die Sage auch nach Rom und erhielt allmählich veischiedene Umgestaltungen. So schon bei Klemens von Rom, der im 1. Korintherbrief (c. 25; siehe die Übersetzung in der Bibliothek der Kirchenväter I. Serie, Band 35, Seite 43) sein Erscheinen nach Arabien verlegt und sagt: „Er lebt 500 Jahre. Wenn er der Auflösung im Tode nahe ist, baut er sich ein Nest aus Weihrauch, Myrrhe und sonstigen wohlriechenden Gewächsen; ist seine Zeit erfüllt, so geht er in das Nest und stirbt. Wenn dann das Fleisch verfault, entsteht ein Wurm, welcher sich von dem verfaulenden Leichnam des Tieres nährt und Flügel bekommt; wenn er dann kräftig geworden ist, hebt er jenes Nest, in dem die Knochen des früheren sind, und fliegt mit ihnen von Arabien bis nach Ägypten in die Stadt Heliopolis. Und bei Tag, wenn alle es sehen, fliegt er auf den Altar des Helios, legt sie dort nieder und kehrt wieder zurück...“ Vgl. Origenes contra Celsum IV, 98. Für Klemens schon ist die Erscheinung des mythischen Vogels Symbol und Beweis für die Auferstehung, und diese Auffassung spricht sich auch bei Tertullian (De resurectione carnis c. 13) und vor allem in dem Gedicht des Lactantius, De ave Phoenice, aus. Ihm hat Zeno die Gedanken zum Teil wörtlich entnommen. ↩
Die Lesart: a semetipsa invitatis sacris ignibus.,. concrematur enthält nach der Bemerkung der Ballerini die bei Dichtern sich findende Vorstellung, daß der Phönix die Flammen von der Sonne gerufen. ↩
