3.
Der Mensch allein ist voreilig, ist ungeduldig, hat seine Freude an den täglichen verkehrten Umgestaltungen, Er sinnt auf Abwechslung, fühlt sich unglücklich, wenn er der ist, der er ist; er sieht nicht ein, daß es an Wahnsinn grenzt, wenn der Geist nicht in seinem Zustand verharrt. Was ist die Ungeduld anders als ein wankelmütiger Geist, der durch seine zahlreichen heftigen Gemütserregungen sich selbst bekämpft; ein Geist, der auch sich selbst untreu ist;1 ein Handeln, das unvorsichtig, schwankend, blind, unbedacht, unbeständig, sich vollständig ins Verderben stürzt; eine Sache ohne Inhalt, ein Unternehmen ohne Bedeutung? Sie greift alles zu rasch an, sie bringt alles in einem Augenblick auseinander; sie ist die Mutter von Verbrechen, die Lehrerin von S. 115 Neugier, der Höhepunkt der Verwegenheit, die Urheberin und Lehrmeisterin von fluchwürdigen Übeln. Es geht auf sie zurück, daß der Tod von Anbeginn der Welt an das Heil der Menschen vernichtet hat und noch vernichtet. Adam befand sich in der Sicherheit des Paradieses und nannte die Herrschaft über den seligen Erdkreis, selbst am seligsten, sein eigen; und er lebte solang glücklich, solang unvertreibbar, als er den Inhalt des königlichen Gebotes beobachtete. Als er aber unglückseligerweise einwilligte, von der verführerischen neidischen Schlange die Ungeduld einzutauschen, und als er von dem (nicht zu berührenden) Baum den verderblich süßen Apfel kostete, da fand er Tränen, da schuf er sich selbst Schmerz und Gram, Dornen und Disteln;2 und nachdem er selbst die Zerrüttung des Todesschweißes erfahren hatte, hinterließ er noch seinen Nachkommen als Erbe den alle Ordnung zerstörenden Tod, der denn auch bald den Menschenmord erzeugte. Denn es dauerte nicht lange: Ungeduldig lechzte Kain, neidisch wegen der Opfer gäbe seines Bruders, nach dessen Tod; und obwohl Gott sein Tun sieht, wird er zum Brudermörder. Er läßt sich auch durch dessen warnende Stimme nicht zurückhalten, sondern versteift sich immer mehr darauf, bis die schon begonnene böse Tat durch Blutvergießen verdoppelt wird.3 Es wundert sich der Erdkreis, der noch unbewohnt ist, daß er für zwei zu klein ist. Es wundern sich die Elemente, daß ein Mensch, der nach dem Bild und Gleichnis Gottes geschaffen ward.4 gemordet werden kann und noch dazu von seinem Bruder. Es errötet die unentweihte Erde, die nunmehr durch frommes Blut befleckt ist. Nur der unglückselige Kain jubelt. Und weil er keine Zeugen hatte, glaubt er die Untat nicht begangen zu haben: und doch hat ihn Gott gesehen, sein Gewissen macht ihm Vorwürfe, das Blut des Bruders wird zum Ankläger. Was S. 116 soll ich sagen von der Ungeduld der Bewohner von Sodoma? Dort, wo Männer von Männern in sündhafter Weise mißbraucht wurden, brannte ein von Gott gesandtes Feuer das Feuer der unnatürlichen Begierde aus; denn ein Regenguß, von Gott vom Himmel herabgesandt, aus Feuer und Schwefel bestehend, vernichtete in stürmischem Strafgericht den Bund, der sich zu dem dort heimischen Frevel zusammengeschlossen, indem Männer, unglückseliger als die ihnen Verfallenen, Fremdlinge mit der Waffe der Scham verfolgten und von hinten schändeten.5 Die Juden murren laut in Versammlungen;6sie zerstören die Altäre Gottes, wenn sie ihrer Anbetung Ausdruck geben;7 sie töten auf verschiedene Art ihre Propheten;8sie suchen in übergroßer Liebe auch Moses zu steinigen;9 sie kämpfen mit den verschiedensten Mitteln gegen den Herrn und suchen vielen Göttern und Königen zu dienen, sie, die in ihrer Ungeduld dem einen Gotte nicht zu dienen vermochten.
Giuliari liest mit früheren Ausgaben: Animus infidelis; etiam sibi actus improvidus, instabilis etc.; es ist aber wohl zu verbinden: Animus infidelis etiam sibi; actus ... ↩
Gen. 2; 3. ↩
Ebd. 4. ↩
Gen. 1,26. 27; 5,1; 9,6; 1 Kor 11,7. ↩
Gen. 19. ↩
Vgl Exod. 16, 2; 32, 1; Num. 11, 1; 14, 1. 2; 16, 2 u. ö. ↩
Vielleicht Anspielung auf 3 Kön. 13; oder wahrscheinlicher Exod. 32. ↩
Vgl. Matth. 23, 30. 31; Luk. 13, 34 u. ö. ↩
Exod. 17,4 ↩
