Dreiundsechzigster Vortrag: Predigt am Feste des hl. Andreas.
Mit Recht gilt der heutige Tag als der Geburtstag des hl. Andreas, da er heute zwar nicht für dieses irdische Leben dem Schoße der Mutter entsprossen ist, sondern, weil im Glauben empfangen und im Martertod geboren, als geboren gilt zur Herrlichkeit des Himmels. Denn nicht nahm ihn [heute] die mütterliche Wiege als weinendes Kind auf, sondern des Himmels Geheimgemach empfing ihn als Sieger. Denn nicht sog er aus der mütterlichen Brust als schwaches Kind die nährende Milch, sondern als treuester Krieger vergoß er sein Heldenblut für seinen König. Jetzt lebt er, weil er als Kämpfer des himmlischen Heeres den Tod überwand. In heißem Verlangen folgte er dem Herrn durch seinen Tod und eilt, sich an die Fußspuren des Herrn zu heften mit dem ganzen Aufwand seiner Kraft, damit sein S. 345[Todes]gang ihn dem Bruder1 nicht ungleich mache, dem ihn gleich gemacht hatte die Natur, dem zum Genossen ihn gemacht hatte die Berufung2 ,dem ihn gleich gemacht hatte die Gnade selbst. Auf ein Wort des Herrn hat er, wie jener, Vater, Heimat und Vermögen verlassen3 ; in Mühsalen, Verachtung, auf Reisen, in Verfolgungen und Nachtwachen hat er unter dem Beistande Christi unermüdlich mit dem Bruder das gleiche Schicksal geteilt. Nur in der Leidensstunde des Herrn hatte er die Flucht ergriffen4 . Aber auch durch diese Flucht war er [seinem Bruder] nicht ungleich; denn wenn die Verleugnung als Schuld betrachtet werden muß, so ist die Flucht weniger schimpflich als die Verleugnung. Doch darüber laßt uns schweigen! Denn die Verzeihung, Brüder, hat sie wieder gleich gemacht, wie die Schuld sie getrennt hatte!
Die spätere Sehnsucht nach dem Martertod hat ihre Liebe ebenso bewiesen, wie sie ihre frühere Furcht geschändet hatte. Denn mit vereinter Kraft ergreifen sie später glühend das Kreuz, vor dem sie geflohen waren, um an ihm den Himmel zu ersteigen und den Lohn und die Krone sich zu erwerben, wie sie von ihm sich die Schuld zugezogen hatten. Denn Petrus bestieg das Kreuz, Andreas bestieg den Baumpfahl, damit sie, wie sie wünschten, mit Christus zu leiden, so auch beide an sich die Art und Weise seines Leidens erduldeten, und beide, am Holze erlöst, vollendet würden zur Himmelskrone. Wenn also auch so unser Andreas dem Range nach jenem untergeordnet ist, steht er doch nicht unter ihm in seinem Lohne und in seinem Leiden!
